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Die Frau im gepunkteten Kleid

Die Frau im gepunkteten Kleid

Titel: Die Frau im gepunkteten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beryl Bainbridge
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Wheeler gegenübertreten konnte. Wenn Wheeler zum Wahlkampfteam der Demokraten gehörte, würde er wohl kaum allein durch die Gegend wandern. Im Idealfall sollte sich ihre Begegnung an einem einsamen Ort abspielen, so abgelegen, das niemand sie sah, sonst bestand die Gefahr, dass jemand mit einer Beschreibung daherkam … oder sogar mit einem Schnappschuss. Vielleicht sollte er sich den Bart abrasieren.
    »Das Komische ist«, sagte Rose, »er war zwar ein brutaler Kerl, aber auch eine schreckliche Heulsuse. Einmal lief er in Southport herum und drückte jedem Soldaten – ›unsere tapferen Jungs in Blau‹ nannte er sie – ein Sixpencestück in die Hand …«

    Vielleicht wäre es eine gute Idee, dachte er, John Fury anzurufen.
    »Es waren Soldaten aus dem neuen Krankenhaus unten an der Promenade. Mein Vater sagte zu ihnen, dass er stolz auf sie sei, sie wären die gehfähigen Verwundeten …«
    Fury würde wissen, wo sich Kennedy und seine Mannschaft wahrscheinlich aufhielten.
    »Später stellte sich heraus, dass ihnen gar nichts fehlte, zumindest waren sie nicht verwundet. Sie waren Soldaten, das schon, aber Mutter sagte, sie hätten sich in der Army eine fiese Männerkrankheit geholt.«
    Er stellte sich Wheelers Gesicht vor, seine Miene, und das Bild brannte sich in sein Gehirn.
    Rose sagte: »Ich habe Angst davor, ihn zu sehen. Es ist so lang her. Was, wenn er sich völlig verändert hat?«
    Es versetzte ihm einen Schock, dass sie an dasselbe dachte wie er.
    Dreißig Minuten später parkte er auf einem Campingplatz abseits des San Bernardino Freeway. Er umklammerte seine Hand und sagte, er brauche eine Pause, aber zuerst müsse er telefonieren. Rose protestierte. Er solle nicht ständig über Aktien und Beteiligungen nachdenken und sich lieber auf seine Gesundheit konzentrieren. »Meine Gesundheit hängt vom Geld ab«, versetzte er.
    Eine Frau nahm seinen Anruf entgegen und teilte ihm mit, dass Fury erst ab morgen, ab dem 2. Juni,
wieder da sei. Er sei aber unter seiner Adresse in Santa Ana zu erreichen. Als er zurückkam, stellte er erstaunt fest, dass Rose die Matratze ausgerollt und das Moskitonetz aufgehängt hatte. Da sie so hilfsbereit war, beschloss er, ihr seinen Plan für den nächsten Tag zu schildern. Er versicherte ihr, Los Angeles liege ganz nah bei Santa Ana, und je eher sie Kontakt zu Fury aufnähmen und den genauen Aufenthaltsort von Senator Kennedy erführen, desto früher würden sie Wheeler aufspüren. Rose äußerte sich nicht dazu, zog nur ein Gesicht.

14
    Santa Ana hatte hübsche, mit weißen Markisen geschmückte Häuser an Prachtstraßen unter Palmen. Es erinnerte Rose an Southport, obwohl es keine Lichterketten gab. Als sie um eine Kurve bogen, musste der Campingbus einem kleinen Jungen ausweichen, der seinen Hund spazieren führte. Harold fluchte.
    Furys Gestüt lag etwa eine Meile außerhalb der Stadt, am Ende einer baumbestandenen, düsteren Schotterstraße. Als Erstes kam ein Hof, anscheinend von Stallgebäuden begrenzt, denn irgendwo streckte ein Pferd den Kopf heraus. Es gab auch ein zweigeschossiges Haus, von dem die Farbe abblätterte; daran grenzte ein Streifen buttergelbes Weideland. Im Grunde nahm Rose die Umgebung gar nicht wahr, weil sie sich auf Dr. Wheeler konzentrierte. Seit zu vielen Tagen schon war er ihr entglitten, hatte nicht mehr mit ihr gesprochen, war zu einem bloßen Schatten geworden. Hoffentlich deshalb, weil sie sich nun bald sahen, aber vielleicht auch, fürchtete sie, weil er schon tot war. Es war nicht leicht, mit Verstorbenen
in Verbindung zu bleiben, wenn man ihr Hinscheiden nicht miterlebt hatte.
    Ein junger Mann in einem gelben Pullover kam auf sie zu. Er schleppte Säcke. Rose gefiel es nicht, wie Washington Harold ihn behandelte. Um seine barsche Aufforderung, er wolle zu Fury geführt werden, zu überspielen, lächelte sie viel und zwinkerte sogar. Dass er Ausländer war, hieß noch lange nicht, dass er keine Gefühle hatte.
    Fury war nicht da, aber seine Frau, eine kleine Person in Reithosen und Brille. Sie hieß Philopsona oder so ähnlich. Sie wohne die meiste Zeit des Jahres auf dem Gestüt, vertraute sie ihnen an, weil sie sich um ihre alte Mutter kümmere, die nicht mehr in Los Angeles leben könne, weil sie dort vor zwanzig Jahren traumatisierende Ereignisse miterlebt habe. Die Mutter saß in einem Stuhl, von dem aus sie über die Felder sah; sie trug ein Nachthemd und einen Strohhut und umklammerte ein Wollkaninchen und die Reste einer

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