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Die Frau im Kühlschrank

Die Frau im Kühlschrank

Titel: Die Frau im Kühlschrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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junger, dynamischer Betriebsleiter war, wie es oft in den Zeitungen über ihn stand, während ich … Ich saß zu Hause. Und ich trug die Verantwortung für Pål.«
    Sie hatte ihr Glas jetzt abgestellt, saß nur da und flocht die Finger ineinander, während sie sprach. »Ich – ich hätte so gern einen Job gehabt, aber im Haus war mehr als genug zu tun, und dann mußte ich mich ja um Pål kümmern. Ich wagte es nicht, ihn zu jemand anderem zu geben. Die Autos – die Kinder, die getötet wurden – wir kannten sie ja schließlich. In dem einen Jahr war es einer, mit dem Pål gespielt hatte, vormittags auf dem Spielplatz. Im Jahr darauf war es einer aus dem Haus gegenüber – ich sagte zu Ivar, jetzt müsse er etwas tun, wo er doch schließlich im Gemeinderat saß. Aber er zuckte nur mit den Schultern und sagte: Wir tun, was wir können, aber eine Umgehung – oh, ja, er hatte die Politikersprache gut gelernt! – wäre zu kostenaufwendig, deshalb … Und die Kinder? fragte ich. – Tja, dazu konnte er nichts sagen … Und dann, eines Tages …«
    Nach einer langen, lastenden Pause fragte ich vorsichtig: »Nicht – dein Junge?«
    Sie sah mich mit blanken Augen an. »Nein. Er wurde nicht überfahren. Das wäre zuviel Ironie gewesen. Aber – ich traute mich nicht, ihn nach draußen zu lassen, allein, und wenn wir nicht spazieren gingen, dann mußte er drinnen sein und spielen, während ich – ich hatte ja auch zu tun. Und an dem Tag … Ich war gerade dabei, Essen zu machen, und er spielte, drinnen im Wohnzimmer. Er war erst fünf Jahre alt, und plötzlich wurde es so still da drinnen, und ich …«
    Sie kämpfte mit den Erinnerungen, und um uns herum war es auch still geworden, so still, daß ich meine Atemzüge tief, tief aus der Brust hören konnte.
    Sie fuhr fort: »Wir haben sie doch so lieb – diese kleinen Menschlein, nicht? Als meine Gefühle für Ivar gestorben waren, war es, als hätte sich all meine Liebe und Zärtlichkeit auf Pål konzentriert und – und dann reinzukommen und ihn zu finden, auf dem Boden, leblos. Den kleinen Körper – noch so lebendig vor ein paar Minuten, lebhaft, beim Spielen – und dann plötzlich tot, nicht mehr da …« Sie warf die Hände hoch zur Decke. »Ein Engel! Wenn man daran glaubt …«
    »Aber was …?«
    »Er hatte zwei Stricknadeln zu fassen gekriegt und sie in eine Steckdose gesteckt. Er – er bekam den ganzen Strom ab. Hinterher warf mir Ivar vor, ich hätte nicht gut genug auf ihn aufgepaßt, daß ich so eine Glucke war, daß ich mich nicht traute, ihn nach draußen zu lassen – raus auf die Todesstraße! Ich schrie ihn an, schrie wirklich, daß ich ihn niemals wieder sehen wolle, daß er zur Hölle fahren könne mitsamt seinem Gemeinderat, daß er … Aber das spielte keine Rolle. Wir stellten den Scheidungsantrag und wurden geschieden, denn alles, was wir zu dem Zeitpunkt gemeinsam hatten, war Pål. Aber – etwas in mir war gestorben, Varg – in dem Augenblick, als ich ins Wohnzimmer kam und Pål leblos auf dem Teppich liegen sah. Etwas in mir ist erfroren, und ich – später, als ich nach Oslo ging und mein Studium wieder aufnahm – es war nicht schwer, ein Leben wie das hier anzufangen. Da waren keine Gefühle mehr, für niemanden .So empfand ich es jedenfalls, als ich anfing. Später …« Sie zuckte mit den Schultern und sah düster vor sich hin. »Wenn du dich also fragen solltest, warum … Ich hätte eine ganz gewöhnliche Hausfrau sein können, irgendwo weiter im Osten. Statt dessen …« Sie sah wieder zu mir auf und lächelte. Jetzt verstand ich, warum immer ein trauriger Zug in ihrem Lächeln war. Mir war, als würde ich sie etwas besser kennen.
    Dann stand sie auf. »Es ist – spät geworden.«
    Ich spürte, wie mir heiß wurde. Ich fühlte mich hilflos wie ein Schuljunge. »Ja – ich … Soll ich hier schlafen oder im Gästezimmer? Ich kann gut auf dem Sofa liegen.«
    Sie schüttelte den Kopf und lächelte schelmisch. »Weder noch.«
    »Aber …«
    »Du sollst – in meinem Bett schlafen.«
    »Aber ich …«
    Sie unterbrach mich mit einem perlenden Lachen. »Oh, Gott, wenn du dich sehen könntest! Sei doch nicht so tugendhaft. Reg dich ab! All meine Gäste schlafen im großen Bett. Ich werde im Gästezimmer schlafen.«
    »Aber, ehrlich, das ist doch nicht nötig.«
    »Ich bestehe darauf«, sagte sie.
    Wir gingen hinaus in den Flur. »Wenn dir danach ist, kannst du ruhig ein Bad nehmen. Wenn du dich erst fertig machst, geh ich hinterher ins

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