Die Frau im Kühlschrank
ihrem Haar. Sie hatte mir ihr Gesicht zugewandt, und ein paar lange Sekunden hatten wir so dagestanden, Auge in Auge. Und dann hatte ich sie geküßt, so vorsichtig und so zart, als sei sie ein Spinnengewebe, eine Blume, die sich auflösen würde, bei der geringsten Berührung, ein Traum … Aber sie verschwand nicht. Sie küßte mich wieder. »Es – kam mir fast unanständig vor, sie zu küssen, direkt vor dem Fenster. Als könne die ganze Stadt uns sehen.«
Sie lächelte wehmütig, und ich wußte, warum. Jeder trägt solche Erinnerungen wie diesen Kuß in sich. Jeder hat Erinnerungen, die plötzlich an die Oberfläche kommen, wenn von solchen Küssen erzählt wird. »Und – dann?« fragte sie.
»Und dann? Das hört sich fast an, als würdest du mich interviewen.«
Sie errötete. »Ich wollte nur …«
»Also«, sagte ich, »es gab und dann an dem Tag. Es war nicht so, daß wir einander in die Arme sanken und uns da auf dem Teppichboden liebten – entschuldige, auf dem Linoleum. Wir – wir sagten nicht mehr sehr viel, nicht danach. Wir trennten uns, wie zwei verliebte Teenager, und als wir uns das nächste Mal träfen, war es in derselben Cafeteria, und wir – es verging noch eine ganze Zeit …«
»Ich frage«, sagte sie plötzlich, »weil Beziehungen zwischen Männern und Frauen mich interessieren – ganz besonders.«
Ich nickte.
Sie fuhr fort: »Man sollte vielleicht meinen – in meiner Situation – daß all so was gleichgültig werden würde. Aber … Ich werd nie müde, solche Geschichten zu hören von – Anfängen. Egal, wie grausig eine Liebesbeziehung sich entwickeln mag, egal, was das für Widerlichkeiten mit sich bringt, sie hat doch einmal einen Anfang gehabt, es ist immer – so gewesen. So, wie du erzählt hast. Und – tja …«
Ich betrachtete sie über den Rand meines Glases hinweg. Was hatte uns zusammengeführt? Warum saßen wir hier und sprachen von solchen Dingen? Ich sagte: »Erzähl du ein bißchen – von dir.«
Sie sah abrupt auf. »Von mir?« Das Licht der Kerze auf dem Tisch flackerte über ihr Gesicht, ließ es weicher werden. »Was …«
»Woher kommst du?«
Sie sah in ihr Glas, als blickte sie zurück in die Vergangenheit, und das Gesicht verhärtete sich wieder. »Ich bin aus Fredrikstad«, sagte sie. »Aus einer Straße, die heute Mads W. Stangsgate heißt, die aber, als ich Mädchen war, Onsøgata hieß. Direkt beim Stadion. Ich ging viel zu Fußballspielen in Fredrikstads Glanzzeit – der letzten.« Plötzlich sah ihr Gesicht ganz jung aus. »Hast du jemals Bjørn Borgen gesehen?«
»Ja.«
»Hast du jemals jemanden so dribbeln sehen wie ihn? Hast du jemals einen so eleganten Flügelspieler gesehen wie ihn, wenn er sich durch die Verteidigung der anderen kämpfte, den richtigen Ball an Snæbbus abgab und dann – peng – ins Netz!«
»Wir hatten einen, den nannten sie Kniksen …«, sagte ich vorsichtig.
»Jajaja«, fiel sie mir ins Wort. »Aber Bjørn Borgen, das war ’ne Art Ballettänzer … Es hieß – weißt du noch, damals, als wir fünf zu zwei gegen die Russen verloren haben und Bjørn Borgen unsere beiden Tore geschossen hat – es hieß, das sei das beste norwegische Angriffsspiel gewesen, das es gegeben hatte seit – ja, seit …«
»Kniksen war dabei, als wir gegen die Schweden gewonnen haben«, sagte ich.
Sie sah mich irritiert an und sagte mit einer Geste der Verwunderung: »Aber was zum Teufel tun wir hier eigentlich? Uns über Fußball streiten?«
Sie lachte. »Es war so beschissen, Mädchen hatten sich nicht für Fußball zu interessieren, das paßte nicht. Wenn wir mit den Jungs auf dem Schulhof über Fußball diskutierten, dann hatten sie immer recht. Und warum?! Sie sahen doch schließlich dieselben Spiele, oder?!«
»Ich werd dir eins sagen«, sagte ich, »und nimm es als Kompromißvorschlag. Das allererste Fußballspiel, das ich gesehen habe, war das Semifinale 1961, als Fredrikstad Brann eins zu null schlug. Das war ein phantastisches Spiel, abgesehen davon, daß Brann hätte gewinnen sollen, aber Fredrikstad hatte Engel im Tor stehen, und du hast ja gesehen, wie es lief, als sie ins Finale kamen. Brann hätte auch Haugar in die Tasche gesteckt, damals.«
»Ja, ja«, sagte sie und lachte wieder. »Skål, Varg. Weißt du – es ist schön, hier zu sitzen und mit dir zu reden. Über Fußball.«
Sie setzte ihr Glas ab. Es war leer. Sie hob die Flasche. Auch die war leer. Sie zuckte mit den Schultern und stand mit einem kleinen
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