Die Frau im Kühlschrank
daß etwas noch ungetan war, daß ich ein Muster erkennen müßte in dem Ganzen, einen Pfad durch die Wildnis finden.
Es half nichts, hier sitzen zu bleiben.
Wenn ich zum Hotel zurückging – ob sie dort auf mich warten würden? Oder waren sie in der Stadt und suchten nach mir? Wenn Ole Johnny seine Bodybuilder auf Fuchsjagd geschickt hatte, würde es kaum lange dauern, bis ich in der Falle saß.
Ich sollte einfach das erste Schiff nach Bergen nehmen, ob es der Polizei gefiele oder nicht. Sollten sie mich doch wieder zurückholen, dann konnten sie mich beschützen. Aber dann mußte ich zum Hotel zurück, um meine Sachen zu holen.
Es führte kein Weg daran vorbei. Ich trank den Tee aus, ließ fünf Øre auf der Untertasse liegen, eine Art Witz – und tauchte wieder in der Menschenmenge unter. Mich in alle Richtungen umblickend, ging ich zurück ins Hotel.
Ich kam nicht weiter als an die Rezeption. Zwei Männer in hellen Mänteln saßen dort, jeder auf einem Stuhl, und warteten auf mich. Als sie mich entdeckten, standen sie auf, völlig synchron. Sie waren ungefähr gleich groß, aber die Gesichter waren verschieden: das eine rund und freundlich, das andere mager und asketisch. Bevor sie sich vorstellten, nannte ich sie im stillen Abbot und Costello. Es war der magere, der sprach: »Polizeiobermeister Iversen. Würden Sie uns bitte folgen?«
Ich starrte ihn an. »Diese Stadt macht mich fertig. Könnt ihr euch ausweisen?«
Das konnten sie, also folgte ich ihnen.
25
Die Polizeiwache in Stavanger liegt strategisch sehr günstig. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist eine Kirche, ein Weinmonopolladen und eine Discothek. Sowohl für die geistigen als auch für die körperlichen Bedürfnisse ist gesorgt, und die Polizei hat das Ganze unter Kontrolle.
Bertelsen war kurz angebunden und formell, und er stand nicht vom Schreibtisch auf, als ich hereingeführt wurde. Er sah mich über den Rand seiner Brille hinweg sauer an und fuhr fort, auf dem mit Maschine geschriebenen Blatt zu lesen, das er vor sich hatte.
Ich pfiff leise vor mich hin: I can’t get started ,in einer improvisierten Bluesversion. Ich sah aus dem Fenster. Am Eingang des Weinmonopols herrschte reger Betrieb. Vor dem Kirchenportal gab es kein Gedränge. Vor der Discothek spazierte langsam eine blonde Frau entlang, mit einem vornehmen, grauen Pudel an der Leine, und es sah fast so aus, als sei er ihr Schutzengel.
Mit einem wütenden Griff klappte Bertelsen seine Brille zusammen – um zu demonstrieren, daß er mit dem Lesen fertig war. Die eisblauen Augen starrten durch mich hindurch, und der Mund war ein schmaler, fast ausradierter Bleistiftstrich. »Wo haben Sie die Nacht verbracht, Veum?« sagte er mit seiner trockenen, knarrenden Stimme.
»Tja, ich …«
»Wir wissen, daß Sie nicht im Hotel waren, also kommen Sie nicht mit irgendwelchen Ausflüchten.«
»Ich war bei – Freunden.«
Ich starrte aus dem Fenster. Ein Mann kam aus dem Weinmonopol, mindestens fünf Liter in jeder Hand. Einer, der sich auf ein feuchtes Wochenende in seinen vier Wänden vorbereitete.
Bertelsen sagte säuerlich: »Bei – Freunden. Und bei wem?«
Ich sah ihn an. »Ist das nicht meine Privatsache?«
»Nichts ist hier Privatsache«, kläffte er. »Nicht, wenn es sich um die Ermittlungen in einem Mordfall handelt.«
»Soll ich mich als verdächtigt betrachten?«
»Du kannst dich von mir aus als den letzten Mohikaner betrachten, wenn du mir bloß auf das antwortest, was ich dich frage.«
»Kannst du mir denn einen guten Grund dafür nennen?«
Er sah mich biestig an. »Ist eine weitere Leiche Grund genug?«
Ich beugte mich vor. Als wüßte ich nicht schon die Antwort, fragte ich: »Wer?«
Regungslos sah er mich an. »Hier im Haus stellen wir die Fragen. Wir geben keine Antworten.«
»Nein, das hab ich begriffen«, sagte ich leichthin. »Das nennt man wohl PR, oder nicht?«
»Du warst gestern bei einer Dame namens Laura Ludvigsen, stimmts?«
Ich machte eine resignierte Handbewegung. »Das hab ich doch erzählt.«
»Wann hast du sie wieder gesehen?« Die Fragen kamen präzise und militärisch.
»Überhaupt – gar nicht.«
»So?« Er sah nicht aus, als würde er mir glauben. Und ich mußte einräumen, daß seine Methode effektiv war. Ich hätte um ein Haar geantwortet: Überhaupt nur ein … – und dann mußte ich mir auf die Zunge beißen.
» Überhaupt gar nicht? « Er betonte jedes einzelne Wort. »Was soll das heißen? Daß es zu spät
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