Die Frau in Rot: Roman (German Edition)
leider nicht bewegen. In der Küche steht frischer Kaffee, und im Kühlschrank sind noch Eier. Du kommst sicher ohne mich zurecht.«
Anouk schmunzelte und trat neben die Staffelei. Viel war noch nicht zu sehen. Valeries Konturen, eine Landschaft im Hintergrund, etwas Himmel. An der gefurchten Stirn des Malers merkte sie, dass er es offenbar nicht schätzte, wenn ihm jemand beim Malen über die Schulter blickte. Sie hob entschuldigend die Hände und ging in die Küche.
»Und bitte viel Grün und Blau, Monsieur van der Hulst, damit es richtig natürlich aussieht. Ich hasse gestellte Bilder, wissen Sie.«
Anouk lauschte auf die Antwort des Belgiers, verstand aber wieder kein Wort und schüttelte den Kopf. Hauptsache, ihre Großtante konnte mit ihm kommunizieren.
Sie setzte sich an den Küchentisch, schob die diversen Utensilien darauf zur Seite und griff nach der Morgenpost. Als sie die Zeitung aufschlug, fiel ihr ein Flugblatt entgegen und zu Boden. Sie hob es auf und betrachtete den farbigen Flyer, auf dem ihr Theaterstück angepriesen wurde, mit der Bitte, sich rechtzeitig um eine Platzreservierung zu kümmern. Das Schloss Hallwyl prangte auf der Vorderseite. Jemand hatte das Foto auf alt getrimmt, so dass es aussah, als wäre es in den Anfängen der Fotografie entstanden. Darunter waren der Verfasser des Stückes, dieser Huldrich Erismann, inklusive seines Lebenslaufs, und die Namen der Schauspieler angegeben. Anouk grinste, als sie ihren eigenen entdeckte. War ihre Magd-Rolle eventuell der Beginn einer neuen Karriere?
Sie drehte das Flugblatt um. Aha, die Bibliothekarin fungierte also als Anlaufstelle für den Ticketverkauf, und unter deren Adresse war noch ein kleiner Lageplan der Örtlichkeiten eingezeichnet. Anouk legte das Blatt neben ihre Tasse Kaffee. Sie wollte es aufbewahren. Vielleicht würde sie es später ihren Eltern zeigen. Oder ihren Kindern. Anouk schüttelte den Kopf. Wie kam denn ausgerechnet sie auf so einen Gedanken?
Aus dem Wohnzimmer drang lautes Lachen. Anouk lehnte sich zurück und stieß dabei ihre Tasse um. Der Kaffee ergoss sich über das Flugblatt, lief über die Zeitung und tropfte auf den Fußboden.
»Mist!«, rief sie und lief zur Spüle, um einen Lappen zu holen. Als sie wieder an den Tisch trat, riss sie überrascht die Augen auf. Der Kaffee hatte nur einen Teil des Handzettels getränkt. Einige Stellen waren trocken geblieben und ließen vereinzelte Worte nun wie weiße Inseln hervortreten und sich vom Rest des kaffeegetränkten Textes abheben.
Das Porträt
Ein Drama in drei Akten von Huldrich Erismann
Huldrich Erismann lebte von 17 36–176 4. Über seine Jugend ist nicht viel bekannt. Angeblich war er ein Waisen kind. Er studierte Theologie in Bern und war später als Pastor in Seengen bis zu seinem Tod tätig. Er befasste sich mit der Heil kunst und pflegte Arme und Kranke. Er liebte die Poesie und schrieb neben seiner Arbeit Gedichte und Theaterstücke. Leider wurden viele seiner Werke bei einem Brand, bei dem der Dichter den Tod fand, ein Raub der Flammen. Sein Grab befindet sich auf dem Schlossfriedhof der Familie von Hallwyl, zu der er zeit seines Lebens ein inniges Verhältnis pflegte. 199 6 wurde eine Gedenktafel bei der Kirche Seengen angebracht, auf der er als junger Mann zu sehen ist.
Schauspieler:
Eleanor von Hallwyl
Brigitte Häusermann
Josef von Hallwyl
Peter Wäber
Eusebius von Hallwyl
Hans-Rudolf Gnägi
Jan van Teckel
Nick Hächler
Elisabeth
Evi Leibundgut
Berta
Anouk Morlot
Joggeli
Gerold Humbel
Regisseur
Max Sandmeier
Bild
© Bernhard Ross ine t
Anouk starrte gebannt auf den nassen Fetzen, der sich immer mehr mit der braunen Brühe vollsog. Dann stürzte sie zum Telefontischchen, schnappte sich Stift und Papier und lief zurück. Hastig notierte sie die Wörter, die weiß geblieben waren.
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»Ach, du meine Güte!« Valerie rauschte in die Küche, raffte, bevor Anouk reagieren konnte, die durchtränkten Zeitungen zusammen und warf das tropfende Knäuel in den Abfalleimer. »Entschuldige die Unordnung, Liebes!«, wandte sie sich an ihre Großnichte
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