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Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau in Rot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot S. Baumann
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in ihrem Block.
    Valerie blinzelte verwirrt und zuckte dann leicht mit den Achseln. »Kommst du noch herunter … wenn du dich angekleidet hast?«
    »Ich glaube nicht, Tati. Ich bin müde und werde wohl früh ins Bett gehen.«
    »Verstehe. Bis morgen also.« Ihre Großtante hatte die Tür schon fast geschlossen, als sie plötzlich innehielt. »Ach, bevor ich es vergesse. Herbert hat angerufen und nach dir gefragt.«
    Anouk hob erstaunt die Augenbrauen. »Dein Objekt der Begierde? Was wollte er denn?«
    Ihre Großtante kniff die Lippen zusammen. »Also bitte, Anouk. Herr Rufli ist nur ein Freund. Und er hat mir nicht gesagt, was er wollte«, beantwortete sie die Frage in einem Ton, der Anouk vermuten ließ, dass es sie gekränkt hatte, nicht über den Grund seines Anrufes informiert worden zu sein.
    »Okay«, sagte Anouk. »Danke fürs Ausrichten.«
    Valerie nickte und schloss die Tür.
    Was konnte der Kurator nur von ihr wollen? Egal, wenn es um etwas Wichtiges ginge, würde er sich wieder melden.
    Sie versuchte, ihre Überlegungen erneut aufzunehmen, konnte sich jedoch nicht mehr konzentrieren. Nachdem sie mehrmals gegähnt hatte, legte sie den Block auf den Nachttisch, schlüpfte unter die Bettdecke und knipste das Licht aus.
    Roter Faden … Rot … genau! Die Farbe schien der Schlüssel zu allem zu sein.
    Ein rhythmisches Klopfen drang in Anouks Träume. Sie öffnete die Augen und schaute auf den Wecker. Schon neun Uhr morgens vorbei. Langsam entwickelte sie sich zu einem regelrechten Faultier. Aber irgendetwas schien anders zu sein als sonst. Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen. Das Zimmer lag immer noch im Halbdunkel. Und jetzt erklärte sich auch das monotone Klopfen. Draußen ging ein gewaltiger Wolkenbruch nieder; ab und zu ertönte dumpfes Donnergrollen. Anouk kuschelte sich wieder in die warme Decke. Sie versuchte, noch ein wenig zu schlafen, doch ihre Gedanken kreisten um den gestrigen Tag und fuhren Karussell in ihrem Kopf. Nach ein paar vergeblichen Versuchen, sich Morpheus erneut in die Arme zu werfen, schwang sie schließlich die Beine aus dem Bett und stand auf.
    Sie zog die Gardinen beiseite und stieß enttäuscht die Luft aus. Der Herbst ließ grüßen! Tiefe Regenwolken hockten über dem See und gebaren Regenschleier. Die Hortensien waren zerzaust wie nach einem Hurrikan. Ein weißer Blütenteppich lag auf dem Rasen, und die Zweige beugten sich traurig über ihren beraubten Schmuck. Anouks Magen knurrte, weshalb sie sich sofort auf den Weg in die Küche machte. Dort sah es aus, als hätte der Blitz eingeschlagen. Der Küchentisch war mit alten Zeitungen abgedeckt, auf denen Farbkübel standen. Zwischen diesen lagen wiederum Tuben und Pinsel in allen Größen und alte, farbverschmierte Lumpen. Aus dem Wohnzimmer hörte sie das Kichern ihrer Großtante und eine männliche Bassstimme. Im Hintergrund lief Debussy. La Mer, wenn sich Anouk nicht täuschte.
    »Ach, Monsieur van der Hulst«, hörte sie Tati Valerie sagen, »Sie sind ein veritabler Charmeur! Wenn Sie mir nicht allzu viele Falten ins Gesicht pinseln, bin ich schon glücklich. Ich möchte das Bild ja nicht unbedingt ›Schildkröte in rotem Taft‹ nennen.«
    Die Antwort des Malers konnte Anouk nicht verstehen, aber ihre Großtante kicherte wieder. Also war das Findelkind noch immer anwesend und tat seine Pflicht. Anouk schaute sich alarmiert um. Alles noch an seinem Platz? Gut, Tati hatte also keinen Dieb aufgegabelt. Dass es sich allerdings um einen richtigen Künstler handelte, bezweifelte Anouk.
    »Morgen!«, sagte sie und steckte den Kopf ins Wohnzimmer. Ihre Großtante saß auf einem Küchenstuhl zwischen Sofa und Fenster. Sie hatte sich in ihr gelbes Baiserkleid gestürzt und die Perücke aufgesetzt. Der Raum war hell erleuchtet. Um Valerie herum standen vier verschiedene Lampen, was ihrem Teint nicht gerade schmeichelte. Anouk konnte den Spruch mit der Schildkröte jetzt durchaus nachvollziehen. Ihrer Großtante gegenüber stand der Belgier. Er trug einen zerschlissenen Kittel, der vermutlich einmal weiß gewesen war. In der einen Hand hielt er eine Palette, in der anderen einen Pinsel. Ein weiterer steckte quer in seinem Mund, was sein Genuschel erklärte. Über seiner Schulter hing ein Fetzen Stoff, an dem er den Pinsel in seiner Hand säuberte.
    »Oh, hallo Liebes«, sagte Valerie und drehte sich zu ihr um, was dem Belgier ein Knurren entlockte. Ihre Großtante verdrehte in gespielter Verzweiflung die Augen. »Ich darf mich

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