Die Frau in Schwarz
entgegenkam. Als ich den Lenker herumriss, bremste und mich vom Rad schwang, sah ich, dass es das Automobil meines flüchtigen Reisegefährten war, der gestern auch an der Versteigerung teilgenommen hatte, Mr. Samuel Daily. Er wies seinen Chauffeur an, langsamer zu fahren, lehnte sich aus dem Wagenfenster und erkundigte sich nach meinem Befinden.
»Ich habe gerade einen Ausflug gemacht und einen tüchtigen Appetit mitgebracht«, antwortete ich vergnügt.
Mr. Daily zog die Brauen hoch. »Und Ihre Arbeit?«
»Mrs. Drablows Nachlass? Oh, das werde ich bald alles geordnet haben. Allerdings muss ich gestehen, dass es weit mehr ist, als ich gedacht hatte.«
»Sie haben sich schon im Haus umgesehen?«
»Natürlich.«
»Ah.«
Ein paar Sekunden lang blickten wir einander an, und keiner war willens, das Thema weiter zu verfolgen. Dann, gerade als ich weiterfahren wollte, sagte ich leichthin: »Um ehrlich zu sein, es gefällt mir. Ich sehe das Ganze als Herausforderung.«
Mr. Daily musterte mich forschend, bis ich den Blick abwenden musste und mich wie ein Schuljunge fühlte, dessen prahlerische Geschichte durchschaut worden war.
»Mr. Kipps«, sagte Samuel Daily, »Sie markieren den Mutigen. Gestatten Sie mir, Sie zu dem Abendessen einzuladen, auf das Sie einen so großen Appetit haben, wie Sie sagten? Um neunzehn Uhr? Der Wirt wird Ihnen erklären, wie Sie zu meinem Haus gelangen.« Dann gab er dem Chauffeur einen Wink, lehnte sich zurück und würdigte mich keines Blickes mehr.
Sobald ich zurück im Gasthaus war, traf ich Vorbereitungen für den nächsten Tag. Obwohl ein Körnchen Wahrheit in Mr. Dailys Bemerkung steckte, war ich fest entschlossen und durchaus bereit, meine Arbeit in Eel Marsh House durchzuführen. So bat ich, mir einen Korb voll Proviant herzurichten. Außerdem machte ich selbst noch einige Besorgungen: Tee, Kaffee, Zucker, zwei Laib Brot, eine Packung Kekse, frischen Pfeifentabak, Streichhölzer und dergleichen. Ich erstand auch eine große Taschenlampe und ein Paar Gummistiefel. Denn so ganz ließ sich die Erinnerung an meine Wanderung auf den Marschen im Nebel und der steigenden Flut nicht aus meinem Hinterkopf vertreiben. Sollte ich noch einmal in eine solche Lage kommen – ich hoffte sehr, dass es mir erspart bleiben würde –, wollte ich zumindest für alle physischen Eventualitäten gerüstet sein, so gut es ging.
Als ich dem Wirt meinen Plan mitteilte – ich wollte diese Nacht noch hier in seinem Gasthaus schlafen und dann die beiden nächsten Tage in Eel Marsh House verbringen –, sagte er nichts, aber ich wusste sehr wohl, dass er gerade daran dachte, wie ich in den frühen Morgenstunden an seine Tür gehämmert hatte und wie mein Gesicht vom Schock der Erlebnisse gezeichnet gewesen war. Als ich ihn fragte, ob ich sein Fahrrad noch einmal ausleihen dürfe, nickte er lediglich. Ich sagte ihm, dass ich mein Zimmer trotzdem behalten wolle, und, je nachdem wie rasch ich Mrs. Drablows Papiere sortiert hatte, spätestens Ende der Woche abreisen würde.
Ich habe mich seither oft gefragt, was der Mann über mich und mein Vorhaben dachte, das ich so unbekümmert plante. Denn es bestand kein Zweifel, dass er ebenso wie alle anderen hier nicht nur die Geschichten und Gerüchte über Eel Marsh House kannte, sondern auch die Wahrheit. Ich vermute, es wäre ihm lieber gewesen, wenn ich mich gleich ganz verabschiedet hätte, aber er hatte es sich offenbar zur Angewohnheit gemacht, weder seine Meinung zu äußern noch ungebeten zu warnen oder Ratschläge zu erteilen. Und mein Benehmen an diesem Tag muss deutlich ausgedrückt haben, dass ich keinen Widerspruch dulden und keine Warnung beachten würde, nicht einmal, wenn sie von meinem eigenen Gefühl kam. Ich war inzwischen fast starrköpfig entschlossen zu tun, was ich mir vorgenommen hatte.
So viel war auch Mr. Daily klar – und das bereits wenige Minuten nachdem ich an diesem Abend sein Haus betreten hatte. Er beobachtete mich und ließ mich plaudern, er selbst sagte während des Essens nur wenig.
Ich hatte ohne sonderliche Schwierigkeiten zu ihm gefunden und war bei meiner Ankunft gebührend beeindruckt. Das Haus stand in einem etwas dunklen, ländlichen Park, von dem ich dachte, dass er die passende Szenerie für manche von Jane Austens Romanfiguren sein könnte. Eine lange, von Bäumen umsäumte Auffahrt führte zur Fassade mit Portikus, steinernen Löwen und Urnen auf Podesten zu beiden Seiten einer niedrigen Freitreppe;
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