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Die Frau in Schwarz

Die Frau in Schwarz

Titel: Die Frau in Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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Sie hat weder mit mir gesprochen, noch ist sie in meine Nähe gekommen. Mir gefiel nicht, wie sie aussah, und noch weniger gefiel mir die schreckliche Macht, die offenbar von ihr ausging und mich berührte. Aber ich habe mich überzeugt, dass es eine Macht ist, die nicht mehr vermag, als mir Angst zu machen. Wenn ich mich dorthin begebe und sie wiedersehe, werde ich vorbereitet sein.«
    »Und der Pferdewagen?«
    Darauf konnte ich nicht antworten, denn – ja, das war schlimmer gewesen, viel schlimmer, viel entsetzlicher, weil ich ihn nur gehört, aber nicht gesehen hatte, und weil ich das Schreien dieses Kindes mein Leben lang nicht vergessen würde. Aber ich schüttelte den Kopf. »Ich werde nicht davonlaufen!« Hier an Samuel Dailys Kamin war ich stark, entschlossen, mutig und unerschütterlich, aber auch – und das erkannte er – stolz darauf. So, dachte ich, zieht ein Mann in die Schlacht, derart gewappnet, würde er sogar gegen Riesen kämpfen.
    »Sie sollten nicht mehr dorthin gehen!«
    »Ich fürchte, ich werde es aber tun.«
    »Dann sollten Sie zumindest nicht allein sein.«
    »Ich konnte niemanden finden, der mich begleiten würde.«
    »Nein«, bestätigte er, »das können Sie auch nicht.«
    »Großer Gott, Mrs. Drablow lebte ganz allein dort. Wie lange? Gut sechzig Jahre – bis ins hohe Alter. Sie muss sich mit den Geistern dort arrangiert haben.«
    »Ja.« Mr. Daily erhob sich. »Vielleicht hat sie genau das getan. Kommen Sie, Bunce wird Sie heimbringen.«
    »Nein, ich möchte lieber zu Fuß gehen. Ich finde Geschmack an der frischen Luft.« Tatsächlich war ich mit dem Fahrrad gekommen, aber als ich gesehen hatte, wie vornehm das Zuhause der Dailys war, hatte ich es im Straßengraben außerhalb des Eingangs versteckt. Es war mir unpassend erschienen, damit die Einfahrt zum Haus hinaufzustrampeln.
    Während ich mich für seine Gastfreundschaft bedankte und in meinen Mantel schlüpfte, schien er über etwas nachzudenken, und im letzten Augenblick sagte er plötzlich: »Sie sind also fest entschlossen?«
    »Ja.«
    »Dann nehmen Sie einen Hund mit.«
    Ich lachte. »Ich habe keinen Hund.«
    »Aber ich«, sagte er und ging vor mir her aus dem Haus, die Treppe hinunter und verschwand rechts in der Dunkelheit, wo sich wahrscheinlich die Nebengebäude befanden. Ich wartete, ein wenig belustigt und gerührt über seine Sorge um mich, und fragte mich, was ein Hund gegen Geister ausrichten sollte. Doch es widerstrebte mir keineswegs, Mr. Dailys Angebot anzunehmen. Ich mochte Hunde, und ein Hund wäre eine angenehme Gesellschaft, warmblütig und lebendig in dem kalten, verlassenen, alten Haus.
    Nach wenigen Augenblicken war das Tapsen von Pfoten zu hören, gefolgt von Mr. Dailys gemessenen Schritten.
    »Nehmen Sie sie mit«, sagte er, »und bringen Sie sie mir wieder, wenn Sie fertig sind.«
    »Wird sie denn mit mir gehen?«
    »Sie wird tun, was ich ihr sage.«
    Ich blickte hinunter. Vor mir stand eine stämmige, kleine Terrierdame mit rauhem, scheckigem Fell und glänzenden Augen. Sie blickte mich kurz schwanzwedelnd an, blieb jedoch dicht bei Mr. Daily.
    »Wie heißt sie denn?«
    »Spider.«
    Wieder wedelte die Hündin kurz.
    »Gut«, sagte ich. »Ich muss gestehen, ich freue mich über ihre Gesellschaft. Danke.« Ich drehte mich um und ging los, die breite Einfahrt hinunter. Nach ein paar Metern drehte ich mich um und rief: »Spider! Komm, Mädchen, komm, Spider.« Die Hündin rührte sich nicht, und ich kam mir ein wenig dumm vor.
    Da lachte Samuel Daily, schnippte mit den Fingern und sagte etwas. Sofort rannte Spider hinter mir her und heftete sich folgsam an meine Fersen.
    Als ich sicher war, dass ich vom Haus aus nicht mehr gesehen werden konnte, holte ich das Fahrrad, und die Hündin lief munter hinter mir her, die stille, mondhelle Straße entlang Richtung Ortschaft. Meine Stimmung stieg. Auf seltsame Weise freute ich mich auf den morgigen Tag.

Im Kinderzimmer
    D as schöne, klare Wetter hielt an, wieder schien die Sonne vom strahlend blauen Himmel, als ich den Vorhang zurückzog. Ich hatte nicht sehr tief geschlafen. Fetzen von eigenartigen, unzusammenhängenden Träumen hatten mich nicht zur Ruhe kommen lassen. Vielleicht hatte ich bei den Dailys zu gut gegessen und getrunken. Doch meine Stimmung war unverändert. Ich war entschlossen und zuversichtlich, während ich mich ankleidete, frühstückte und danach meine Vorbereitungen für den Aufenthalt in Eel Marsh House traf. Spider hatte, etwas

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