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Die Frau in Schwarz

Die Frau in Schwarz

Titel: Die Frau in Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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überraschend für mich, ruhig am Fuß meines Bettes geschlafen. Ich mochte sie, obwohl ich ziemlich wenig von Hunden verstand. Sie war lebhaft, gescheit, wachsam und sehr folgsam. Zottiges Haar hing ihr ein wenig über die glänzenden Augen und sah, wie ich belustigt feststellte, wie buschige Brauen aus. Ihre Augen wirkten ungemein intelligent. Ich würde sehr froh über ihre Gesellschaft sein.
    Kurz nach neun Uhr rief mich der Wirt ans Telefon. Es war Mr. Bentley, schroff und kurz angebunden, denn es widerstrebte ihm zutiefst, sich dieses Apparats zu bedienen. Er hatte meinen Brief erhalten und pflichtete mir bei, dass ich bleiben solle, bis ich ein wenig Ordnung in Mrs. Drablows Papiere gebracht und jene herausgesucht hätte, deren wir uns vermutlich annehmen mussten. Ich solle alles, was ich für wesentlich hielte, zusammenpacken und abschicken und das Übrige im Haus lassen – darum konnten die Erben sich später einmal selbst kümmern – und dann nach London zurückkehren.
    »Es ist ein eigenartiger Ort«, sagte ich.
    »Mrs. Drablow war eine eigenartige Frau.« Mit diesen Worten warf Mr. Bentley den Hörer auf die Gabel, dass es mich im Ohr schmerzte.
    Gegen halb zehn Uhr hatte ich den Fahrradkorb und die Fahrradtaschen gepackt und fuhr los. Spider sprang hinter mir her. Noch länger konnte ich nicht warten, weil die Flut bald einsetzen würde, und während ich über die weiten, offenen Marschen radelte, dachte ich, dass ich auf gewisse Weise, wenngleich nur vorübergehend, die Brücken hinter mir abbrach – falls ich irgendetwas Wichtiges vergessen haben sollte, könnte ich es in den nächsten Stunden nicht holen.
    Die Sonne stand hoch am Himmel, das Wasser glitzerte, überall war helles Licht und Weite, die Luft schien irgendwie gereinigt und fast berauschend zu sein. Seevögel, silbergrau und weiß, segelten und tauchten, und am Ende des langen, geraden Weges winkte mir Eel Marsh House zu.
    Die erste halbe Stunde nach meiner Ankunft war ich damit beschäftigt, mich häuslich einzurichten. Ich fand Geschirr und Besteck in der etwas düsteren Küche an der hinteren Seite des Hauses, spülte und trocknete es ab und legte es für später bereit. Dann verstaute ich meinen Proviant in einer Ecke der Speisekammer. Als ich Schubläden und Wandschränke im ersten Stock durchsuchte, fand ich frische Bettwäsche und Wolldecken und hängte alles zum Lüften vor dem Kamin im Wohnzimmer auf, in dem ich Feuer gemacht hatte, genau wie im kleinen Salon und im Esszimmer. Nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang es mir sogar, den großen schwarzen Badezimmerofen zu heizen, und so hoffte ich, am Abend heißes Wasser für ein Bad zu haben. Dann zog ich die Rollläden hoch, öffnete ein paar Fenster und richtete meinen Arbeitsplatz an einem großen Schreibtisch in einem Erker des Damensalons ein, von dem aus man den schönsten Blick auf den Himmel, die Marschen und die Flussmündung hatte. Neben mich stellte ich zwei Kisten voll Papiere. Dann, mit einer Kanne Tee zu meiner Rechten und Spider zu meinen Füßen, begann ich mit der Arbeit. Es war langweilig, aber ich hielt geduldig durch, öffnete die Schleifen von Bündel um Bündel Briefe und anderen unwichtigen, alten Schreiben und überflog sie, ehe ich sie in einen leeren Kasten warf, den ich mir zu diesem Zweck bereitgestellt hatte. Es waren dreißig bis vierzig Jahre alte lose Seiten von Haushaltsbüchern, Kaufmannsrechnungen und Quittungen, Kontoauszüge, quittierte ärztliche Rezepte, Kostenvoranschläge von Tischlern, Glasern und Tapezierern; Kassenzettel von Kaufhäusern in London, Einkaufslisten und Zettel mit Maßen; Briefe sowie Weihnachts- und sonstige Glückwunschkarten von Bekannten – doch nichts von neuerem Datum. Nur die Briefe legte ich zur näheren Durchsicht für später beiseite. Alles andere war eigentlich zum Wegwerfen. Hin und wieder, um die Langeweile zu mildern, blickte ich durch die breiten Fenster auf die Marschen, die in stiller Schönheit im Sonnenschein lagen. Zur Mittagszeit aß ich Schinkenbrote und trank dazu Bier, und kurz nach vierzehn Uhr rief ich Spider, um mit ihr ein wenig ins Freie zu gehen. Ich fühlte mich gut, wenngleich ein wenig verkrampft, nach dem ganzen Vormittag am Schreibtisch, und vielleicht ein bisschen gelangweilt, aber keineswegs unruhig. Tatsächlich schienen sich alle Grauen und Erscheinungen meines ersten Besuchs im Haus und auf den Marschen in Luft aufgelöst zu haben, so wie der Nebel, der mich umgeben

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