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Die Frau in Schwarz

Die Frau in Schwarz

Titel: Die Frau in Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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leicht über den Boden rumpeln – ein irgendwie vertrautes Geräusch, das ich trotzdem nicht zuordnen konnte; ein Geräusch, das zu meiner Vergangenheit zu gehören schien, das alte, halb vergessene Erinnerungen und Bilder tief in mir weckte; ein Geräusch, das mir an keinem anderen Ort Angst gemacht hätte – dachte ich –, das ich vielmehr als beruhigend und angenehm empfunden hätte. Doch zu meinen Füßen fing Spider an zu winseln. Sie wich von der Tür zurück und drückte sich gegen meine Beine. Meine Kehle war trocken und wie zugeschnürt, und eisige Schauder rannen mir über den Rücken. In diesem Zimmer war etwas, an das ich nicht herankam und an das ich mich auch nicht heranwagen würde, wenn ich dazu fähig wäre. Ich redete mir ein, es sei eine Ratte oder ein Vogel, der durch den Schornstein gefallen war und nicht mehr hinauskam. Aber das Geräusch war nicht das eines kleinen Tieres in Panik. Rumm rumm. Pause. Rumm rumm. Pause. Rumm rumm. Rumm rumm.
    Hätte ich in diesem Moment nicht einen anderen, schwachen Laut gehört, hätte ich wahrscheinlich die ganze Nacht wie gelähmt und vor Angst paralysiert vor der Tür gestanden oder wäre von Grauen erfüllt mit Spider davongelaufen. Das andere Geräusch war hinter mir, nicht unmittelbar hinter mir, sondern kam von der Vorderseite des Hauses. Ich wandte mich von der verschlossenen Tür ab und ging zitternd zurück. Ich tastete mich an der Wand entlang zu meinem Zimmer, geleitet von einem schrägen Streifen Mondlichts, der bis in die Dunkelheit des Korridors reichte. Die Hündin tappte einen halben Schritt vor mir her.
    In meinem Zimmer hatte sich nichts verändert, das Bett war, wie ich es verlassen hatte. Da bemerkte ich, dass der Laut nicht aus einem der vorderen Zimmer, sondern von außen, durchs Fenster, gekommen war. Ich öffnete es und blickte hinaus. Die Marschen lagen silbergrau und verlassen, das Wasser der Flussmündung war unbewegt, und der Vollmond spiegelte sich darin. Nichts. Niemand. Nur, wie ein fernes, fernes, verwehtes Echo, so dass ich mich fragte, ob es nicht lediglich die Erinnerung war, ein Schrei, der Schrei eines Kindes. Aber nein, jetzt kräuselte eine leichte Brise die Wasseroberfläche, strich raschelnd durch das Ried, verlor sich. Nichts weiter. Da spürte ich etwas Warmes an meinem Knöchel und blickte hinunter. Es war Spider, die sanft über meine Haut leckte. Als ich sie streichelte, bemerkte ich, dass sie sich wieder beruhigt hatte, entspannt war, die Ohren nicht mehr lauschend gespitzt. Ich horchte. Im Haus war nichts mehr zu hören. Nach einer Weile kehrte ich zu der Tür ohne Schlüsselloch zurück. Spider folgte mir vergnügt und blieb ruhig davor stehen. Vielleicht wartete sie, dass ich die Tür öffnete. Ich drückte mein Ohr an das Holz. Nichts. Vollkommene Stille. Ich legte die Hand auf die Klinke, zögerte jedoch, als mein Herz wieder zu rasen begann. Dann holte ich ein paarmal tief Atem und drückte die Klinke hinunter. Die Tür ging nicht auf, und als ich an der Klinke rüttelte, hallte es im Zimmer dahinter wider, als sei es leer. Ich versuchte es noch einmal und drückte mit der Schulter. Die Tür gab nicht nach.
    Schließlich ging ich zurück ins Bett. Ich las noch zwei Kapitel von Scotts Roman, ohne jedoch die Worte tatsächlich aufzunehmen, dann schaltete ich die Lampe aus. Spider hatte es sich wieder auf dem Läufer bequem gemacht. Es war kurz nach zwei Uhr.
    Ich konnte lange nicht einschlafen.

    Am Morgen fiel mir als Erstes auf, dass sich das Wetter geändert hatte. Als ich kurz vor sieben erwachte, spürte ich, dass die Luft feucht und kälter war, und als ich aus dem Fenster blickte, konnte ich die Grenze zwischen Land und Wasser und Wasser und Himmel fast nicht erkennen. Alles war eintönig grau, dicke Wolken hingen tief über den Marschen, und es nieselte. Es war kein Tag, der die Stimmung gehoben hätte, und nach der vergangenen Nacht fühlte ich mich wie erschlagen und war nervös. Spider jedoch tappte munter die Treppe hinunter. Ich machte rasch wieder Feuer, legte im Badeofen Holz nach, badete, frühstückte und fühlte mich danach glücklicherweise wieder wie an einem ganz gewöhnlichen Arbeitstag. Ich stieg sogar erneut die Treppe hinauf und ging zu dem verschlossenen Zimmer, aber keine seltsamen Laute drangen heraus, nicht das geringste Geräusch war zu hören.
    Um neun Uhr nahm ich das Fahrrad und fuhr über den Damm und die Landstraßen zurück nach Crythin Gifford. Spider rannte hinter mir

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