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Die Frau in Schwarz

Die Frau in Schwarz

Titel: Die Frau in Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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stumpfsinnige Arbeit machte mich lethargisch, und ich wollte schnellstmöglich fertig werden und wieder in London bei meiner geliebten Stella sein. Ich erinnerte mich, ihr vorschlagen zu wollen, dass wir uns, sobald wir ein eigenes Haus hätten, einen kleinen Hund anschaffen sollten, möglichst einen wie Spider. Tatsächlich beschloss ich, Mr. Samuel Daily zu bitten, falls Spider einmal Junge bekam, doch eines für mich zurückzubehalten.

    Ich hatte den Tag über schnell und konzentriert gearbeitet, mir aber auch ein wenig frische Luft im Freien gegönnt. Nachdem ich mich hingelegt hatte, Spider lag am Fuß des Bettes auf einem Läufer, las ich noch etwa eine halbe Stunde in Das Herz von Midlothian. Nachdem ich die Lampe gelöscht hatte, muss ich ziemlich schnell eingeschlafen sein. Ich habe wohl auch tief und fest geschlafen, denn als ich abrupt erwachte – oder vielmehr durch etwas geweckt wurde –, war ich benommen und wusste im ersten Augenblick nicht, wo ich war. Es war dunkel, doch sobald sich meine Augen angepasst hatten, sah ich den Mond durchs Fenster scheinen. Ich hatte die schweren Vorhänge nicht zugezogen und das Fenster nicht ganz geschlossen. Der Mondschein fiel mit kaltem, verzauberndem Licht auf die bestickte Tagesdecke und das dunkle Holz von Kleiderschrank, Kommode und Spiegelrahmen. Ich spielte mit dem Gedanken, ans Fenster zu treten, um die Marschen und die Flussmündung in diesem Licht zu betrachten.
    Zunächst erschien alles sehr ruhig, sehr still zu sein, und ich fragte mich, was mich geweckt hatte. Mein Herz setzte einen Schlag lang aus, als ich sah, dass Spider mit gesträubtem Fell, zurückgelegten Ohren und aufgestelltem Schwanz zum Sprung bereit an der Tür stand. Sie stieß ein leises Knurren hervor. Ich war wie gelähmt. Ich starrte auf den Hund und wurde mir des Kribbelns meiner Haut und der Stille bewusst, einer unheimlichen, bedrohlichen Stille. Und dann hörte ich aus der Tiefe des Hauses – doch nicht weit von meinem Zimmer entfernt – ein Geräusch. Es war ein leises Geräusch, doch so angestrengt ich auch lauschte, hätte ich nicht sagen können, was es genau war – ein gleichmäßiges Rumpeln, das gleichwohl in unregelmäßigen Abständen aussetzte und wieder begann. Sonst war nichts zu hören, keine Schritte, keine knarrenden Dielen, die Luft war völlig still, kein Windhauch drang stöhnend durch das Fenster. Nur dieses gedämpfte Geräusch. Das Fell der Hündin blieb gesträubt, sie schnüffelte abwechselnd am Türspalt und am Boden, dann machte sie einen Schritt rückwärts, legte den Kopf schief und lauschte genauso angespannt wie ich. Und hin und wieder knurrte sie.
    Schließlich – ich nehme an, weil sonst nichts passierte und ich ja Spider bei mir hatte – überwand ich meine Starre und stieg aus dem Bett, obwohl ich zitterte und mein Herz hämmerte. Ich brauchte eine Weile, bis ich genug Mut gefasst hatte, um die Tür zu öffnen und auf den dunklen Korridor hinaustreten zu können. Kaum hatte ich die Tür geöffnet, schoss Spider los, und ich hörte sie, immer noch knurrend, an jeder geschlossenen Tür schnüffeln. Irgendwann hörten wir wieder das eigenartige Geräusch. Es schien aus dem Gang links, von ganz hinten, zu kommen. Aber immer noch konnte ich nicht erkennen, was es war. Ungemein vorsichtig und mit angehaltenem Atem machte ich ein paar Schritte in diese Richtung. Spider lief voraus. Der Gang führte zu den drei anderen Schlafzimmern, und nachdem ich tief durchgeatmet hatte, öffnete ich eines nach dem anderen und schaute hinein. Nichts war zu sehen außer schweren alten Möbelstücken und leeren Bettgestellen, und in den Zimmern an der hinteren Hausseite Mondschein. Unter mir, im Erdgeschoss, herrschten eine erdrückende, fast greifbare Stille und eine muffige, undurchdringliche Dunkelheit.
    Und dann gelangte ich an die Tür am Ende des Ganges. Spider erreichte sie vor mir. Ihr Körper erstarrte förmlich, als sie am Spalt darunter schnüffelte, und ihr Knurren wurde erregter. Ich legte die Hand auf ihr Halsband, streichelte ihr rauhes Fell, nicht nur, um sie zu beruhigen, sondern auch mich. Ich spürte, dass sie, wie ich, jeden einzelnen Muskel angespannt hatte.
    Wir standen vor der Tür ohne Schlüsselloch, die ich bei meinem ersten Besuch nicht hatte öffnen können. Ich hatte keine Ahnung, was sich dahinter befand. Außer dem Geräusch. Es kam aus diesem Zimmer, nicht sehr laut, aber zweifellos von dort. Es hörte sich an, als würde etwas

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