Die Frau mit dem Muttermal - Roman
war zu Ende.
Münster parkte vor dem Neuen Rumfordkrankenhaus und eilte durch den Regen zum Eingang. Eine häkelnde Dame in der Rezeption verwies ihn in den dritten Stock, Abteilung 32. Nachdem er erklärt hatte, was er wollte, und seinen Ausweis gezeigt hatte, wurde er in ein kleines schmutzig gelbes Wartezimmer mit einer Sitzgruppe in Hartplastik und groß aufgemachten Reisebüropostern an den Wänden geführt. Es war offensichtlich, dass man den Leuten zumindest die Möglichkeit geben wollte, sich fortzuträumen. Sicher keine dumme Idee, dachte Münster.
Im Zimmer saßen zwei Frauen. Die jüngere und deutlich hübschere, mit dickem, kastanienbraunem Haar und einem Buch auf dem Schoß, war die Hauptkriminalassistentin Ewa Moreno. Sie nickte ihm zur Begrüßung aufmunternd zu. Die andere, eine schmale, leicht gekrümmte Gestalt um die fünfundfünfzig, mit einer Brille, die das halbe Gesicht verdeckte, zupfte nervös an irgendetwas in ihrer schwarzen Handtasche. Er schloss daraus, dass es sich hierbei um Marlene Winther handeln musste, die Schwester der frischgebackenen Witwe. Er ging zu ihr und begrüßte sie.
»Kommissar Münster.«
Sie gab ihm die Hand, ohne aufzustehen.
»Ich weiß, wie schwer es für Sie ist. Bitte verstehen Sie, dass wir uns Ihnen leider aufdrängen müssen.«
»Ihre Assistentin hat es mir schon erklärt.«
Sie drehte ihren Kopf in Morenos Richtung. Münster nickte. »Sie ist noch nicht aufgewacht?«
Moreno räusperte sich und legte ihr Buch beiseite.
»Sie ist wach, aber der Arzt wollte sie sich erst ansehen. Vielleicht sollten wir jetzt …?«
Münster nickte wieder, sie gingen zusammen auf den Flur und ließen Frau Winther allein.
»Steht offensichtlich unter schwerem Schock«, erklärte Moreno, als sie eine abgelegene Ecke erreicht hatten. »Sie fürchten sogar um ihren Verstand. Sie hatte schon vorher schlechte Nerven, und das jetzt macht die Sache nicht gerade besser. Sie war in Behandlung und hat einiges genommen.«
»Hast du ihre Schwester befragt?«
Moreno nickte.
»Ja, natürlich. Sie scheint auch nicht besonders belastungsfähig zu sein. Wir müssen behutsam vorgehen.«
»Feindlich gesinnt?«
»Nein, nicht direkt. Nur das Große-Schwester-Syndrom. Es scheint, als sei sie es gewohnt, sich um ihre Schwester zu kümmern.«
»Aber du hast noch nicht mit ihr gesprochen, ich meine, mit Frau Malik?«
»Nein. Jung und Heinemann haben es kurz heute Morgen versucht, aber das hat nicht viel gebracht.«
Münster überlegte.
»Vielleicht hat sie auch gar nicht so viel zu erzählen?«
»Nein, wahrscheinlich nicht. Möchtest du, dass ich das übernehme? Wir können ja auf jeden Fall bald rein.«
Münster nickte dankbar.
»Sicher am besten, wenn das ‘ne Frau macht. Ich warte so lange.«
Fünfundvierzig Minuten später verließen sie gemeinsam das Krankenhaus. Sie setzten sich in Münsters Auto, wo Moreno
ihren Block herausholte und das ziemlich klägliche Ergebnis ihres Gespräches mit Ilse Malik durchging. Münster hatte mit Doktor Hübner gesprochen – einem alten, weißhaarigen Arzt, der alles schon gesehen zu haben schien. Es würden wohl noch einige Tage verstreichen, bevor man die Patientin einem regelrechten Verhör aussetzen konnte. Wenn das denn überhaupt notwendig wäre.
Bösartiger Schockzustand, hatte Hübner es beschrieben. Anfangs hochdosierte Medikation, danach schrittweises Herunterschrauben. Unvermögen, zu akzeptieren, was geschehen ist. Einkapselung.
Merkwürdig, dachte Münster. »Was hat sie eigentlich gesagt?« , fragte er.
»Nicht viel«, antwortete Moreno und seufzte. »Glückliche Ehe, wie sie behauptet. Malik saß gestern Abend zu Hause, sie hat sich Nora oder Ein Puppenheim im Kleinen Theater angeguckt. Hat das Haus gegen halb sieben verlassen, hinterher mit dieser Freundin ein Glas Wein getrunken. Ist mit dem Taxi nach Hause gefahren. Danach fängt sie an zu fantasieren. Ihr Mann ist krank geworden und hat im Flur gelegen, sagt sie. Sie hat versucht, sich um ihn zu kümmern, aber gemerkt, dass es was Ernstes war, deshalb hat sie einen Krankenwagen gerufen. Muss mindestens eine Stunde gewartet haben, wenn ich es richtig verstanden habe. Kippte um und hat es auch noch fertiggebracht, sich selbst zu verletzen. Sie glaubt, ihr Mann läge hier im Krankenhaus, und wundert sich, warum sie ihn nicht besuchen darf … nicht einfach, mit ihr umzugehen, ihre Schwester hat versucht anzudeuten, was passiert ist, aber sie hat alles von sich
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