Die Frau mit dem Muttermal - Roman
gehabt, aber Ilse konnte sie nicht so recht vertragen, besonders das Weibchen nicht, und als sie feststellten, dass Jacob auch noch allergisch gegen Tiere mit Fell war, hatte man sich ihrer mit zwei garantiert schmerzfreien Spritzen entledigt.
Er mochte Frau de Wiijs. Sie strahlte eine träge weibliche Wärme aus, die er im Laufe der Jahre zu schätzen gelernt hatte. Das Einzige, was ihn immer wieder verwunderte, war die Tatsache, dass die Männer sie unverheiratet und unberührt durchs Leben laufen ließen. Zumindest gab es keinen Hinweis darauf, dass es sich anders verhielt, und jetzt schien es so, als sollte es dabei bleiben, ihr vierzigster Geburtstag stand im kommenden Mai bevor, und Malik und Wolff hatten bereits überlegt, wie er gebührend gefeiert werden sollte. Denn das war natürlich ein Tag, der nicht unbemerkt verstreichen durfte. Frau de Wiijs war seit mehr als zehn Jahren bei ihnen, und Malik und Wolff waren sich beide sehr wohl bewusst, dass sie für die Firma unverzichtbar war.
»Und was wollen Sie tun, wenn es wirklich stimmt?«, fragte er. Frau de Wiijs zuckte mit den Achseln, dass ihr schwerer Busen unter der Bluse hüpfte.
»Tun?«, fragte sie. »Da gibt es wohl nichts anderes zu tun, als der Natur ihren Lauf zu lassen. Und zu hoffen, dass es nicht zu viele werden. Außerdem sind Siamesen leicht loszuwerden, auch wenn sie es nur halb sind.«
Malik nickte und leerte seine Kaffeetasse. Faltete die Hände hinter dem Kopf und dachte über die restlichen Arbeiten des Tages nach.
»Ich fahre zu Schaaltze raus«, beschloss er. »Sagen Sie Wolff, dass ich am Nachmittag wieder zurück bin.«
Erst als er im Aufzug auf dem Weg nach unten war, fiel ihm ein, dass er gar kein Auto hatte. Er fluchte still über seine Gedankenlosigkeit und überlegte ein paar Sekunden lang, ob er
nicht lieber wieder hochfahren sollte. Aber dann erinnerte er sich daran, dass man auch mit dem Bus dort hinausfahren konnte. Es gehörte zwar nicht zu seinen Gewohnheiten, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, aber er wusste, dass Nielsen und Vermeer manchmal mit dem 23er von Schaaltze kamen, und wenn man in die eine Richtung fahren konnte, dann doch sicher auch in die andere?
Die Haltestelle lag neben dem Einkaufszentrum und dem Postamt, und ungefähr nach dem halben Weg hatte er das Gefühl, jemand würde ihm folgen.
Oder ihn zumindest beobachten. Er blieb stehen und schaute sich um. Es wimmelte zwar nicht vor Menschen auf den Bürgersteigen, aber es waren immer noch zu viele, als dass er jemanden hätte herausfinden können, der sich sonderbar verhielt. Er überlegte ein paar Sekunden und ging dann weiter zur Haltestelle. Vielleicht war es ja nur Einbildung, jedenfalls wäre es sinnvoll, nicht zu deutlich zu zeigen, dass er etwas ahnte. Er machte sich das hastig klar, während er weiterging, und versuchte, wachsamer zu sein.
Gleichzeitig war er über sich selbst verblüfft und darüber, wie schnell und fast selbstverständlich er misstrauisch geworden war. Als wäre es für ihn etwas Alltägliches, verfolgt zu werden. Warum, um alles in der Welt, sollte jemand das tun? Ryszard Malik! Wer, zum Teufel, sollte an seiner durchschnittlichen und nichts sagenden Person ein Interesse haben?
Er schüttelte den Kopf und schob die Hände in die Manteltaschen.
Was war das für eine blödsinnige Einbildung? Ilse hatte ihn anscheinend mit ihren albernen Ideen angesteckt, daran gab es keinen Zweifel!
Obwohl … obwohl es dieses Wissen gab. Oder zumindest ein Gefühl. Da war jemand hinter ihm. In seiner Nähe. Jemand, der jeden seiner Schritte bewachte. Vielleicht war es ja jemand, dem er entgegengegangen war, jemand, der kehrtgemacht
hatte und ihm jetzt im Abstand von gut zehn Metern folgte. Ein derartiges Manöver bemerkt man sicher in irgendeiner unbewussten, intuitiven Weise … oder hatte jemand schon in der Nähe der Eingangstür auf ihn gewartet? Verdammter Scheiß, da war was.
Er erreichte die Haltestelle und blieb stehen. Offensichtlich war der Bus gerade losgefahren, da niemand dort wartete. Er schob sich in das kleine Wartehäuschen und betrachtete verstohlen die Fußgänger, die vorbeigingen. Einige schnell und zielbewusst, andere langsamer. Ab und zu blieb jemand stehen. Stellte sich neben ihn in den Windschutz, um auf den Bus zu warten. Ein junger Mann mit einem schwarzen, gelbumrandeten Schal, der fast den Boden streifte. Zwei alte Frauen in abgetragenen Mänteln und mit ebensolchen Einkaufstaschen.
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