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Die Frau mit dem Muttermal - Roman

Die Frau mit dem Muttermal - Roman

Titel: Die Frau mit dem Muttermal - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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Wachsdecke. Mit dem Rücken zur Wand. Vom Fenster aus nicht zu sehen.
    Es wurde immer schwerer. Mehr als drei, vier Stunden konnte er nicht am Stück im Wald zubringen, und wenn er dann am frühen Nachmittag zurückkam, wachsam wie immer, setzte er sich wieder in die Küchenecke. Oder legte sich eine Zeit lang auf den Dachboden und wartete.
    Saß da oder lag da und blätterte in irgendwas aus Vaters Bibliothek, die nicht besonders groß und nicht besonders vielseitig war. Abenteuerbücher. Grelle Taschenbücher, die er dutzendweise auf Auktionen oder im Ausverkauf erstanden hatte. Eigentlich hätte er irgendetwas anderes lesen können, aber die Konzentration fehlte.
    Etwas sperrte sich und störte. Etwas anderes.
    Dann wanderte er noch eine Stunde oder mehr herum. Bis die Dämmerung einsetzte. Sie erschien ihm wie etwas, auf das er gewartet hatte, diese Dunkelheit, ein Vertrauter, ein Verbündeter. Er wusste, dass er im Vorteil war, sobald es Abend oder Nacht wurde. Wenn sie während der Dunkelheit aufeinanderstoßen würden, wäre er ihr einen Schritt voraus. Was vielleicht auch notwendig war.
    In der düsteren Küche aß er sein Mittagessen. Er machte nie Licht an, es war ja leicht denkbar, dass sie ihn durch ein erleuchtetes Fenster entdeckte.
    Nur einmal war er im Ort gewesen, um einzukaufen. Er
versuchte, belebte Stellen zu vermeiden, jedenfalls tagsüber. An den ersten Tagen auch am Abend, aber ihm wurde schnell klar, dass diese Isolation für ihn unerträglich werden würde, wenn er nicht zumindest für eine Stunde im Wirtshaus bei einem Bier sitzen könnte.
    Am dritten Abend ging er dorthin. Versuchte zuvor, das Risiko abzuwägen, und begriff schnell, dass die Gefahr im Heimweg bestand. Hin konnte er hinter Hecken gelangen, über leere Grundstücke oder entlang der nicht beleuchteten Dorfstraße. Drinnen war er unter Leuten, setzte sich immer mit dem Blick zur Tür. Dort hatte sie kaum eine Gelegenheit, selbst wenn sie ihn entdeckt haben sollte.
    Der Heimweg war etwas anderes. Eine Gefahr. Wenn sie wusste, dass er dort war, hatte sie ja jede denkbare Möglichkeit, sich irgendwo in den Hinterhalt zu legen, und deshalb traf er große Sicherheitsvorkehrungen für seinen Rückweg. Er vermied die Straße. Verschwand schnell im Dunkel hinter den Ecken des Wirtshauses und blieb dort eine ganze Weile stehen. Bewegte sich dann durch das Gebiet, das er seit Kindesbeinen in- und auswendig kannte, ging in verschiedene Richtungen, zickzack laufend, und näherte sich jeden Abend aus einer anderen Richtung dem Haus. Unendlich vorsichtig und mit der Waffe in der Hand. Die Sinne aufs äußerste angespannt. Und nichts geschah.
    Abend für Abend passierte nicht das Geringste.
    Kein Anzeichen. Nicht die kleinste Veränderung. Nicht der geringste Verdacht.
    Zwei Dinge begleiteten ihn, wenn er ins Bett ging. Das erste waren Kopfschmerzen, weil er den ganzen Tag ungeheuer angespannt war. Dagegen nahm er jeden Abend zwei Tabletten, die er in der dunklen Küche mit einem Schluck Whisky hinunterspülte.
    Was in gewisser Weise half, aber nicht vollkommen.
    Das andere war ein Gedanke. Der Gedanke, dass sie vielleicht gar nicht kam. Dass sie – während er diese isolierten
Tage in höchster Alarmbereitschaft verbrachte – sich selbst ganz woanders befand. Weit entfernt.
    In einer Wohnung in Maardam. In einem Haus in Hamburg. Wo auch immer.
    Dass das genau die Strafe war, die sie ihm zugedacht hatte. Ihn einfach warten zu lassen. Auf seine Mörderin zu warten, die nie kam. Auf den Tod, der sich hinauszögerte.
    Und während die Abende verrannen, verstärkten sich diese beiden Begleiter. Die Kopfschmerzen und der Gedanke. Jeden Abend ein kleines bisschen, wie er fand.
    Und gegen diesen Gedanken halfen weder Tabletten noch Whisky.
     
    Sie bremste neben einem älteren Mann, der am Straßenrand entlangging. Beugte sich über den leeren Beifahrersitz, kurbelte das Seitenfenster hinunter und machte ihn auf sich aufmerksam. »Ich suche einen Herrn Biedersen. Wissen Sie, wo sein Haus liegt?«
    Es war das zweite Mal, dass sie durch das Dorf fuhr. Draußen war es dunkel. Im Auto war es schummrig, sie hatte die Hutkrempe heruntergezogen und nahm nicht mehr Augenkontakt auf, als unbedingt sein musste. Nicht mehr als ein kalkulierbares Risiko. Wie es so hieß.
    »Ja.«
    Er deutete mit der Hand und erklärte. Es war gleich in der Nähe. Alles im Dorf befand sich gleich in der Nähe. Sie wiederholte die Hinweise, bedankte sich und fuhr weiter.
    So

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