Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau mit dem roten Herzen

Die Frau mit dem roten Herzen

Titel: Die Frau mit dem roten Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
Vom Netzwerk:
wecken.«
    »Aber wir müssen in diesem Mordfall etwas unternehmen, Parteisekretär Li.«
    »Nichts überstürzen. Hauptwachtmeister Yu wird in ein paar Tagen wieder hiersein. Solange Sie Inspektor Rohn an Ihrer Seite haben, sollten Sie nicht leichtfertig in Hornissennestern stochern.«
    Lis Erwiderung überraschte ihn nicht. Der Parteisekretär war von Anfang an nicht begeistert über seine Ermittlungen im Mordfall Bund-Park. Und Li hatte immer gute Gründe dafür, etwas zu tun oder zu lassen, politische Gründe. Auch seine Reaktion auf Fengs Telefongespräch war nur verständlich. Die Verantwortung den Amerikanern zuzuschieben war für ihn wichtiger, als die vermißte Frau zu finden. Der Parteisekretär war eben Politiker und erst in zweiter Linie Polizist.
    Nach seinem Gespräch mit Li verließ Chen das Präsidium und eilte zu einem Treffen mit Yus Vater, dem Alten Jäger.
    Am Morgen hatte der alte Mann ihn angerufen und eine Verabredung zum Tee vorgeschlagen. Nicht in dem Teehaus im Teich des Stadtgottempels, wo sie sich schon mehrmals getroffen hatten, sondern in einem namens Mondbrise. Es lag näher an dem Areal, in dem der alte Mann mit einer roten Armbinde seinen täglichen Dienst als Verkehrsüberwacher im Ehrenamt versah. Er wurde dafür kaum entlohnt, doch dieser offiziell klingende Titel verschaffte ihm große Genugtuung. Er konnte sich weiterhin als tragende Säule der Justiz sehen, wenn er einen Radfahrer anhielt, der verbotenerweise sein Baby auf dem Gepäckträger transportierte oder ein privates Taxi mit abgelaufener Lizenz erwischte.
    Das Mondbrise war eines der neuen Teehäuser. Tee schien bei den Shanghaiern allmählich wieder in Mode zu kommen. Er sah junge Leute mit kennerhaften Gesten, die sie sich aus den neuesten Filmen abgeschaut hatten, aus ihren Schalen schlürfen. Dann entdeckte er den Alten Jäger in seiner Ecke. Statt der Musik im traditionellen südlichen Stil, die sonst in Teehäusern erklang, vernahm er Walzertakte im Hintergrund, die Wellen der »Blauen Donau« schwappten durch den Raum. Das war ganz offensichtlich ein Platz für eine junge Klientel, die nicht auf Starbuck’s stand und einen ruhigen Ort zum Reden suchte. Am Nachbartisch war eine Mah-Jongg-Partie in vollem Gange, wobei Mitspieler wie Zuschauer lauthals kommentierten und fluchten.
    »Ich war noch nie hier. Es ist so anders als in dem Teehaus am Stadtgottempel«, begrüßte ihn der Alte Jäger etwas enttäuscht.
    Eine junge Bedienung kam leichtfüßig an ihren Tisch. Sie trug einen qipao, dessen Schlitz ihren elfenbeinfarbenen Schenkel entblößte, und verneigte sich auf japanische Art. »Wünschen die Herren ein Separee?«
    Chen nickte. Das war einer der Vorteile dieser modernen Teehäuser. »Das geht auf Spesenkosten«, sagte er, als sie das kleine Zimmer betraten. Ein pensionierter Polizeibeamter hätte sich das mit seiner mageren Rente kaum leisten können. Es hatte seine Vorteile, ein Oberinspektor mit unbegrenztem Spesenkonto zu sein.
    Das Zimmer war weitgehend mit traditionellem Mobiliar ausgestattet, doch die Mahagonisessel hatten weiche Kissen, und das dunkelrote Ledersofa fügte sich gut in das Farbkonzept des Raumes ein.
    Die Bedienung legte die Karte auf den Tisch und erläuterte die Spezialitäten des Hauses: »Wir servieren einen hervorragenden Blubbertee.«
    »Was für einen Tee?«
    »Das ist derzeit der Renner in Hongkong. Er wird Ihnen gewiß schmecken, mein Herr«, versicherte sie mit geheimnisvollem Lächeln.
    »Na schön, einen Blubbertee für mich und einmal Bergnebel für den Herrn«, sagte Chen. Nachdem sie weg war, fragte er: »Wie geht es Ihnen, Onkel Yu?«
    »Wie andere alte Männer versuche auch ich, der Gesellschaft noch von Nutzen zu sein; ein glimmendes Stück Kohle, das seine letzte Wärme abgibt.«
    Chen lächelte. Dieser Vergleich war ihm nicht fremd; er erinnerte sich, ihn in einem Film aus den siebziger Jahren gehört zu haben. Die Zeiten hatten sich geändert, nicht aber die Einstellung des alten Herrn.
    »Überanstrengen Sie sich nicht, Onkel Yu.«
    Der Alte Jäger begann mit einer seiner üblichen rhetorischen Fragen: »Wissen Sie, warum ich mich heute mit Ihnen treffen wollte, Oberinspektor Chen? Ich habe Yu eine ordentliche Standpauke gehalten, bevor er nach Fujian gefahren ist.«
    »Aber warum denn?« Chen kam der andere Spitzname in den Sinn, unter dem der Alte bekannt war: Suzhou-Opernsänger. Das bezog sich auf den speziellen Opernstil aus Suzhou, bei dem die Akteure die

Weitere Kostenlose Bücher