Die Frau mit dem roten Herzen
Familie hält sich noch in Guangxi auf?«
»Ja, mein Mann und meine Töchter wohnen dort.«
»Warum sind Sie dann allein hier? Sie sind doch schwanger. Man wird sich Sorgen um Sie machen.«
»Nein. Sie wissen, daß ich hier bin.«
»Haben Sie Probleme mit Ihrer Familie?«
»Nein, nein, es gibt keine Probleme.«
»Sie sollten mir besser die Wahrheit sagen«, fuhr er sie an. Die Sache ging ihn eigentlich nichts an, aber er hatte Inspektor Rohn gegenüber das Gefühl, etwas unternehmen zu müssen. »Andernfalls könnten Sie Ärger bekommen.«
»Bitte schicken Sie mich nicht zurück, Genosse Oberinspektor. Man wird mich dort zur Abtreibung zwingen.«
Erstmals mischte sich Catherine ein: »Was? Wer kann Sie dazu zwingen?«
»Die Dorfkader. Die müssen ihre Geburtenrate einhalten.«
»Reden Sie offen mit uns. Wir werden Sie nicht in Schwierigkeiten bringen.«
Oberinspektor Chen blickte von einer Frau zur anderen. Qiao schluchzte, Catherine schäumte vor Wut, er selbst stand daneben wie ein Idiot. »Erzählen Sie uns Ihre Geschichte, Genossin Qiao.«
»Wir haben zwei Töchter, aber mein Mann will unbedingt einen Sohn. Jetzt bin ich also wieder schwanger. Das Dorfkomitee sagte, diesmal würden wir nicht mit einer Strafe davonkommen und ich müßte abtreiben. Daraufhin bin ich weggelaufen.«
»Sie sind doch aus Guangxi«, sagte Chen und war sich bewußt, daß Catherine genau zuhörte. »Warum haben Sie den weiten Weg hierher auf sich genommen?«
»Mein Mann wollte, daß ich hier bei seiner Cousine wohne, aber die ist inzwischen weggezogen. Glücklicherweise habe ich Frau Yang getroffen. Sie ist die Besitzerin dieses Lokals und hat mich angestellt.«
»Sie verdienen sich Ihren Unterhalt und das Essen?«
»Ja. Und Frau Yang gibt mir noch zweihundert Yuan im Monat, zusätzlich zu den Trinkgeldern«, sagte Qiao und legte die Hand auf ihren Bauch. »Bald werde ich nicht mehr in der Gaststube arbeiten können. Deshalb muß ich jetzt soviel wie möglich verdienen.«
»Und wie geht es dann weiter?« fragte Catherine.
»Ich werde das Baby hier zur Welt bringen. Wenn mein Sohn zwei oder drei Monate alt ist, gehen wir zurück.«
»Wie werden die Kader in Ihrem Dorf reagieren?«
»Wenn das Baby erst einmal da ist, können sie nicht mehr viel machen. Wir werden vermutlich eine hohe Geldstrafe bekommen. Aber das schreckt uns nicht.« Mit bebender Stimme wandte sie sich an Chen: »Sie werden mich doch nicht nach Hause zurückschicken?«
»Nein. Das müssen Sie mit Ihren Dorfkadern ausmachen, nicht mit mir. Ich finde nur, daß es für eine schwangere Frau nicht gut ist, so weit weg von zu Hause zu sein.«
»Haben Sie vielleicht einen besseren Vorschlag?« fragte Catherine bissig.
Ein Mann betrat das Lokal, doch als er den Oberinspektor und seine amerikanische Kollegin sah, machte er sofort wieder kehrt.
»Hier haben Sie meine Karte. Passen Sie gut auf sich auf«, sagte Chen und erhob sich. »Melden Sie sich, wenn Sie Hilfe brauchen.«
Schweigend verließen sie das Lokal. Die Spannung zwischen ihnen löste sich auch nicht, als sie im Auto saßen. Beim Anlassen ließ er den Motor aufheulen.
Die Luft im Wagen war abgestanden.
Es war eine Schande, dachte er, daß die örtlichen Kader Qiao so unter Druck gesetzt hatten, und ausgerechnet Inspektor Rohn mußte davon erfahren. Er hatte schon öfter von Schwangeren gehört, die untertauchten bis ihre Kinder geboren waren. Aber es war eine andere Sache, wenn man persönlich damit konfrontiert wurde.
Seine amerikanische Kollegin mußte sich Gedanken über die Wahrung der Menschenrechte in China machen. Die Welt in einem Wassertropfen. Sie schwieg hartnäckig. In seiner Nervosität kam er versehentlich mit der Hand an die Hupe.
»Nun, da haben die örtlichen Kader wohl etwas übertrieben«, sagte er in die eisige Stille hinein. »Aber die Regierung hat keine andere Wahl. Die Festlegung der Geburtenrate ist notwendig.«
»Welche Probleme Ihre Regierung auch haben mag, eine Frau muß das Recht haben, ihr Baby zur Welt zu bringen – und zwar bei sich zu Hause.«
»Sie können sich nicht vorstellen, wie ernst die Lage hier ist, Inspektor Rohn. Nehmen Sie zum Beispiel diese Familie. Sie haben bereits zwei Töchter, und sie werden noch mehr bekommen, bis sie endlich einen Sohn haben. Die Fortführung der Ahnenreihe ist, wie Sie aus Ihrem Sinologiestudium wissen, für solche Leute das Allerwichtigste.«
»Es ist ihre freie Entscheidung.«
»Aber in welchem Kontext?« gab er
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