Die Frau mit dem roten Herzen
Arbeit in der Stadt oder im Umland zu finden. Vermutlich ist es eine falsche Spur. Hier in der Stadt gibt es wesentlich interessantere Dinge für Sie zu tun, Inspektor Rohn.«
»Ich wünschte, ich hätte etwas Interessanteres zu tun.« Sie legte ihre Eßstäbchen zur Seite. »Fahren wir.«
»Ich hole nur den Wagen aus dem Präsidium. Möchten Sie hier auf mich warten?«
»Gern.« Noch immer nagte der Zweifel an ihr: Wollte er sie auf diese Weise von seinem Büro fernhalten? Sie hätte ihm gern vertraut, wußte jedoch, daß es töricht wäre.
* * *
Catherine war überrascht, Chen in einem Mittelklassewagen der Marke Shanghai vorfahren zu sehen. »Fahren Sie heute selber?«
»Der Kleine Zhou hat frei, und die anderen Fahrer sind alle im Einsatz.«
»Ein hochrangiger Kader wie Sie«, bemerkte sie beim Einsteigen. »Ich dachte, Sie hätten einen eigenen Fahrer zur Verfügung.«
»Ich bin kein hochrangiger Kader. Aber danke für das Kompliment.«
13
C HEN HATTE C ATHERINE R OHN den wahren Grund, weswegen er selbst fuhr, verschwiegen. Dem Kleinen Zhou vertraute er, aber durch die anderen Fahrer konnten Interessierte leicht in Erfahrung bringen, wo er sich gerade aufhielt. Daher hatte er einen Wagen genommen, ohne jemandem Bescheid zu sagen.
Die Fahrt in den Kreis Qingpu war lang. Durch die Wagenfenster blies eine angenehme Brise herein. In stillschweigendem Einverständnis vermieden sie es, über den Fall zu sprechen. Während draußen unterschiedliche Landschaften vorbeizogen, erkundigte sie sich statt dessen nach den Sprach-Austauschprogrammen an chinesischen Universitäten.
»Institutionen wie die Fudan-Universität, die Pädagogische Hochschule Ostchina oder das Shanghaier Fremdspracheninstitut bieten Lehraufträge für englische Muttersprachler, die dann ihrerseits Chinesischunterricht erhalten«, erklärte Chen. »Bevorzugt für Leute mit einem Abschluß in Anglistik.«
»Ich habe zwei Hauptfachabschlüsse, einen davon in Anglistik.«
»Solche Stellen sind natürlich schlecht bezahlt; nicht nach chinesischen Standards, aber das Hotel Peace würden Sie sich damit nicht leisten können.«
»Ich muß nicht in einem Luxushotel wohnen.« Sie strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Keine Angst, Oberinspektor Chen, ich frage nur aus Neugier.«
Allmählich wurde die Gegend ländlicher: Reisfelder, Gemüsegärten, dazwischen einige neue, farbenfrohe Häuser. Gemäß Deng Xiaopings Devise »Laßt einige zuerst reich werden« sprossen wohlhabende landwirtschaftliche Unternehmen wie Pilze aus dem Boden. Als sie an einem kleinen, üppig grünen Feld vorbeikamen rief sie aus: »Jicai! Jetzt kommt auch hier der Frühling!«
»Wie bitte?«
»Jicai. Bei uns nennt man es Hirtentäschchen. Keine Ahnung, wie die Pflanze diesen Namen bekam, wo sie doch so gut schmeckt.«
»Das ist ja interessant. Sie sind also auch Botanikerin.«
»Nein, bin ich nicht. Aber ich habe mal versucht, ein Gedicht aus der Song-Dynastie zu übersetzen, in dem der Dichter sich delikaterweise, zusammen mit diesen grünlichen Blüten, auf der Zunge seiner Geliebten wiederfindet und anschließend auf seiner eigenen.«
»Wie schade, daß wir heute keine Zeit haben, welche zu pflücken.«
Es war bereits zwei Uhr, als sie das Dorf Qingpu erreichten, wo die Gesuchte sich aufhalten sollte. Sie fanden auch gleich den heruntergekommenen Gasthof am Marktplatz. Die Tür war offen, im Gang stand eine einfache Holzbank. Da die Mittagszeit vorüber war, gab es keine Gäste.
»Ist hier jemand?« rief Chen mit lauter Stimme.
Eine Frau, die sich die Hände an einer fleckigen Schürze abwischte, kam aus der Küche an der Rückseite des Hauses. Sie hatte ein hageres Gesicht mit hohen Backenknochen und ihr grau durchsetztes Haar im Nacken zu einem Knoten geschlungen. Er schätzte sie auf Ende Dreißig. Die Wölbung ihres Bauches war bereits sichtbar.
Sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit der Frau auf dem Paßbild. Die Enttäuschung in Catherines Augen entsprach der seinen. Routinemäßig reichte er ihr den Dienstausweis. »Wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen.«
»Mir?« Sie sah ihn erschrocken an. »Ich habe nichts Unrechtes getan.«
»Wenn Sie nichts Unrechtes getan haben, können Sie unbesorgt sein. Wie heißen Sie?«
»Qiao Guozhen.«
»Können Sie sich ausweisen?«
»Ja, hier.«
Chen prüfte den Ausweis genau. Er war in der Provinz Guangxi ausgestellt. Das Paßfoto stimmte mit dem Gesicht der Frau überein. »Ihre
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