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Die Frau mit dem roten Herzen

Die Frau mit dem roten Herzen

Titel: Die Frau mit dem roten Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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dauern.«
    »Natürlich, lassen Sie sich Zeit.« Goldamsel nahm vielsagend lächelnd das Geld entgegen und zog den Vorhang vor. »Melden Sie sich, wenn Sie fertig sind.«
    Ein weiterer Kunde betrat den Laden. Goldamsel ging auf ihn zu und sagte noch einmal über die Schulter zu Chen: »Lassen Sie sich Zeit, Großer Bruder.«
    Hinter dem Vorhang war kaum Platz für zwei. Catherine hielt den Slip in der Hand und blickte fragend zu ihm auf.
    »Verschwinden wir durch die Hintertür«, flüsterte er auf englisch und öffnete die Tür, die in eine schmale Gasse führte. Es regnete noch immer, in der Ferne war Donner zu hören, und die ersten Blitze zuckten über den Horizont.
    Er zog die Tür hinter sich zu und führte Catherine ans Ende der Gasse, die in die Huating Lu einmündete. Als er zurückschaute, bemerkte er das blinkende Neonschild des Cafe Huating im ersten Stock eines rosa gestrichenen Gebäudes an der Ecke Huating und Huaihai Lu. Im Parterre war ein anderes Bekleidungsgeschäft. Eine graue Eisentreppe führte zu dem Cafe hinauf.
    »Wollen wir dort eine Tasse Kaffee trinken?« schlug er vor.
    Sie stiegen die rutschigen Stufen hinauf, betraten einen länglichen Raum, der im europäischen Stil eingerichtet war, und setzten sich an einen Fensterplatz.
    »Was geht hier vor, Oberinspektor Chen?«
    »Besser, wir warten hier ein wenig, Inspektor Rohn. Ich mag mich täuschen.« Er sprach nicht weiter, weil die Bedienung kam und ihnen heiße Handtücher brachte. »Ich könnte einen heißen Kaffee vertragen.«
    »Ich auch.«
    Nachdem die Bedienung den Kaffee gebracht hatte, sagte Catherine: »Zu allererst muß ich Sie etwas fragen. Diese Straße ist doch ein offenes Geheimnis. Warum unternimmt die Stadtverwaltung nichts dagegen?«
    »Wo Nachfrage ist, da wird sie auch bedient – selbst wenn es um Fälschungen geht. Egal, welche Maßnahmen die Stadtverwaltung ergreift, die Leute werden ihr Zeug weiter verkaufen. Schon Karl Marx hat gesagt, daß für eine Gewinnspanne von dreihundert Prozent so mancher seine Seele verkauft.«
    »Mir steht die Rolle einer Kritikerin nicht zu, nicht nachdem ich selbst meine Schnäppchen gemacht habe.« Sie rührte energisch mit dem Silberlöffel in ihrer Kaffeetasse. »Aber trotzdem müßte etwas unternommen werden.«
    »Ja, und nicht nur gegen den Markt, sondern auch gegen die Idee, die dahintersteht, diesen Überschwang des Materiellen. Seit Dengs Ausspruch von der Großartigkeit des Reichwerdens hat das kapitalistische Konsumverhalten bedenkliche Formen angenommen.«
    »Sie meinen also, was die Leute hier praktizieren, ist in Wirklichkeit nicht länger Kommunismus sondern kapitalistisches Konsumverhalten?«
    »Die Antwort darauf müssen Sie sich selbst geben«, entgegnete er ausweichend. »Die Offenheit Deng Xiaopings für kapitalistische Reformen ist allseits bekannt. Ebenso wie sein Diktum: »Egal, ob eine Katze weiß oder schwarz ist, Hauptsache sie fängt Mäuse.‹«
    »Katze und Maus. Ein gefährliches Spiel.«
    »Hier in China werden Katzen nicht als Schmusetiere gehalten. Uns dienen sie lediglich als Mäusefänger.«
    Es hatte aufgehört zu regnen. Von seinem Fensterplatz aus konnte er Goldamsels Laden sehen. Der Samtvorhang war noch immer zugezogen. Er war sich nicht sicher, ob Goldamsel ihr Verschwinden bemerkt hatte. Sein voreiliges und klagloses Bezahlen des Ladenpreises hätte sie eigentlich stutzig machen müssen. Er sah, daß Catherine in dieselbe Richtung blickte.
    »Vor fünfzehn Jahren waren solche Markennamen hier völlig unbekannt. Damals haben sich die Chinesen mit ihrer Einheitskleidung zufriedengegeben: der Mao-Jacke in Blau oder Schwarz. Jetzt ist alles anders geworden. Man bemüht sich, den neuesten westlichen Modetrends zu folgen. Von einer historischen Warte aus würde man das wohl als Fortschritt bezeichnen.«
    »Sie können über eine Vielzahl von Themen theoretisieren, Genosse Oberinspektor Chen.«
    »Für viele Erscheinungen dieser Übergangszeit habe ich auch keine Erklärung, geschweige denn eine Theorie. Ich versuche nur, mich selbst darin zurechtzufinden.« Ohne es zu merken, hatte er eine Pyramide aus Zuckerstücken errichtet, die jetzt neben seiner Kaffeetasse in sich zusammenfiel. Warum sprach er ihr gegenüber diese Dinge so bereitwillig, ja begierig an?
    In dem Moment nahm er unter dem Fenster einen Tumult wahr, der wie ferner Donner die Straße entlangrollte. Alles rief und brüllte im Chor: »Sie kommen!«
    Er sah die Straßenhändler panisch

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