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Die Frau mit dem roten Tuch

Die Frau mit dem roten Tuch

Titel: Die Frau mit dem roten Tuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Garder
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gruben Würmer aus und fingen tatsächlich Forellen, die wir auf Schieferplatten brieten. Wir hofften, auch einen Hasen oder ein Schneehuhn zu fangen, aber die Hasen liefen zu schnell, und die Schneehühner flatterten immer genau dann los, wenn wir uns auf sie stürzen wollten. Unser Hunger auf Fleisch wuchs und wuchs, und als wir eine Herde wilder Rentiere entdeckten, rückten wir Felsbrocken beiseite und gruben eine Grube, die wir mit Zwergbirken, Flechten und Moos tarnten. Die Rentiere sahen wir nie wieder, aber am Ende ging uns ein Lamm in die Falle und wurde ohne Sentimentalität gehäutet und geschlachtet. Wir lebten Tage davon. Aus den Knochen machten wir wieder Angelhaken, aber auch Kochwerkzeug, und ich schnitzte sogar ein Schmuckstück zurecht, zog es auf einen zähen Pflanzenstängel und hängte es dir um den Hals. Wir hatten jetzt außerdem ein Lammfell, und das war gut, denn die Tage wurden kürzer, und eines Tages war der Boden von Reif bedeckt. Erst jetzt brachen wir im Triumph nach Hause auf. In deiner Packung waren noch vier Pillen übrig, wir hatten siebzehn Tage lang als Höhlenmenschen gelebt. Und wir hatten uns gut versteckt, denn wir waren keiner Menschenseele begegnet. Wir hatten einander bewiesen, dass wir als Steinzeitmenschen überleben konnten, aber dann war es auch wunderbar, nach Hause zu kommen, zu Dusche, Doppelbett und einer Flasche Golden Power. Anderthalb Tage verließen wir so gut wie nicht das Bett. Wir waren stocksteif. Wir hatten einen Jetlag. Es war, als wären wir viele Tausend Jahre gereist.
     
    Seltsam, daran zurückzudenken. Der Rahmen um mein Leben ist vielleicht so eng wie diese siebzehn Tage, an denen wir uns dort oben vom Rest der Welt isolierten und die einzigen Menschen unter dem Himmel waren, nur du und ich. Aber was denkst du heute? Woran glaubst du?
     
    Oder ist die Frage nicht präzise genug? Lass uns ein Spielchen spielen: Du sitzt professorenhaft zurückgelehnt in deinem Universitätsbüro und langweilst dich zu Tode, ich bin eine Studentin, die plötzlich an deine Tür klopft. Ich darf eintreten, nein, du freust dich sogar über den Besuch. Dann sage ich: »Wir hören, was Sie uns beibringen, Professor, das ist auch alles faszinierend, aber was denken Sie über die Dinge, die Sie nich t wissen? Was glauben Sie?« Du fühlst dich von diesen direkten und sehr persönlichen Fragen deiner Lieblingsstudentin geschmeichelt, deshalb leierst du bereitwillig eine kleine Vorlesung herunter. Bitte sehr, Steinn! Ich warte auf diese Vorlesung. (Aber lass sie bitte wirklich klein ausfallen! Es sieht wieder verdächtig nach einem Grillabend aus, und ich muss wenigstens einen Salat beisteuern.)
     
    Du bist einfach unbeschreiblich! Wie könnte ich einer solchen Versuchung widerstehen?
     
    Das sollst du ja auch nicht.
     
    Dann kann ich vielleicht da weitermachen, wo ich aufgehört habe, denn ich glaube zunächst einmal, dass wir von Steinzeitmenschen abstammen, wie wir sie gespielt haben. Sie haben demnach nicht die Pille geschluckt. Wie sie gehören wir der Art Homo sapiens an, die direkt auf den Homo erectus folgt, der wiederum vom Homo habilis und noch weiter vom Australopithecus africanus abstammt.
    Wir sind Primaten, Solrun. Wenn wir ein paar Jahrmillionen zurückgehen, haben wir denselben Ursprung wie Schimpansen und Gorillas. Aber das weißt du ja, darüber haben wir oft gesprochen, es gehörte zu dem Kick hinter unserem intensiven Lebensgefühl, hinter unserem Gefühl, Natur zu sein. In der nächsten Runde sind wir dann Säugetiere wie die Hasen und die Rentiere auf der Hardangervidda, und diese Klasse von Wirbeltieren hat sich vor zweihundert Jahrmillionen entwickelt, aus säugetierähnlichen Kriechtieren, den sogenannten Therapsiden.
    Aber warum rückwärts rechnen? Das wäre wie gegen den Strom zu schwimmen. Sollen wir es nicht lieber umgekehrt machen und an der halsbrecherischen Reise von Anfang an teilnehmen? Keine Angst, ich werde mich mit einem groben Überblick begnügen.
    Dieses ungeheuer rätselhafte Universum ist nach den letzten Berechnungen circa 13,7 Milliarden Jahre alt. Damals ist etwas geschehen, das wir als den Big Bang oder als den Urknall bezeichnen. Wie? Warum? Frag mich nicht. Und frag auch sonst niemanden, denn niemand weiß es. Was wir wissen ist, dass im Bruchteil einer Sekunde in einer ungeheuren Energieentladung die erste Materie entstand, Protonen, Neutronen, Elektronen und einige andere Teilchen, bis das entstehende Universum abkühlte

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