Die Frau mit dem roten Tuch
uns nur den letzten Punkt nicht vergessen – ich will ehrlich auch versuchen, dich zu verstehen.
Dann werde ich dir en détail erzählen, was wir damals wirklich erlebt haben, denn dieses Erlebnis ist untrennbar mit dem verbunden, was heute meinen Glauben ausmacht. Ich gehe davon aus, dass du einiges vergessen hast, einiges Wesentliche,meine ich, und wie gesagt: Ich selbst habe ein sehr gutes Gedächtnis.
Sollen wir darauf wirklich zurückkommen? Ich meine, willst du das wirklich? Sollen wir das? Wir haben uns damals doch versprochen, daran nie wieder zu rühren.
Wir werden sehen. Das Ganze ist ein Prozess.
Vorhin, als ich das Kabel gefunden und in den Garten gelegt habe, hat Ingrid die Augen verdreht. Ich dachte, du hast Urlaub, rief sie. Also glaubt sie, dass ich irgendwelchen Kram erledige oder mich aufs neue Schuljahr vorbereite. Dieses Jahr werde ich außer Französisch übrigens auch einige Stunden Italienisch unterrichten. Es wäre ganz normal, wenn ich mich mit der Schule beschäftigen würde, schließlich beginnt sie in knapp einer Woche. Aber vorhin, als Niels Petter und Jonas vom Angeln zurückkamen, warf Niels Petter einen etwas besorgten Blick auf mich und das Kabel, ehe er herkam, mir den Nacken streichelte und sich ein paar Kirschen nahm. Er hat demonstrativ keinen Blick auf den Bildschirm geworfen, auf dem ist in dem gleißenden Sonnenlicht allerdings auch nicht leicht lesen. Ich glaube, Niels Petter weiß, dass ich mit irgendjemandem maile, und ich habe den Verdacht, dass er ahnt, dass du dieser Jemand bist. Ich habe nicht den Mut, ihm zu sagen, was und wem ich maile, und er hat nicht den Mut zu fragen.
Und was gibt’s Neues in Nordberg? Wenn auf deiner Glasveranda nicht bald etwas passiert, bekomme ich es noch mit der Angst, ich könnte dich aus den Augen verlieren.
Ich habe die ganze Zeit geschrieben, auf Antwort gewartet und gelesen. Du reagierst ja immer sofort, wenn ich etwas geschickt habe. Halt: Um ehrlich zu sein, war ich gerade beim Eckschrank und habe mir ein Gläschen Calvados eingeschenkt. Der Espresso war denn doch zu lasch.
Geh bitte nicht noch mal zum Eckschrank, Steinn. Und jetzt mach weiter. Du warst bei der Parapsychologie und dem Übernatürlichen stehen geblieben …
Richtig.
Der amerikanische Zauberkünstler James Randi verspricht demjenigen eine Million Dollar, der ihm »unter befriedigenden Beobachtungsbedingungen irgendeine hellseherische, übernatürliche oder paranormale Fähigkeit demonstriert«. Die One Million Dollar Paranormal Challenge gibt es seit 1964, als Randi für die erste Demonstration eines übernatürlichen Phänomens zehntausend Dollar aus seiner eigenen Tasche anbot. Nach und nach haben sich ihm andere angeschlossen, und bald war die Belohnung auf eine Million Dollar angewachsen. Trotzdem hat bis heute niemand den Test bestanden.
Nun kannst du natürlich einwenden, dass, wer hellseherische oder übernatürliche Fähigkeiten besitzt, nicht notwendigerweise scharf auf Geld sein muss. Aber selbst unter den Tausenden geldgieriger Scharlatane bei bunten Blättern und Schmuddelsendern hat sich kaum einer gemeldet, um an das vermeintlich leicht zu verdienende Geld zu kommen. Warum nicht? Ganz einfach: weil es keine Menschen mit hellseherischen oder übernatürlichen Fähigkeiten gibt.
Die meisten, die sich für Randis Test gemeldet haben, waren gerade keine professionellen Abzocker vom florierenden Markt für Übernatürliches – die scheuen den Profi Randi eher wie die Pest, schließlich ist er eine Bedrohung für ihre ganze Industrie (die er dennoch nie vernichten wird, denn die Welt will ja betrogen werden).
Sylvia Browne ist einer der Stars unter den amerikanischen »Hellsehern«. Sie traf mit Randi bei Larry King Live zusammen, und als Randi sie aufforderte, sich unter kontrollierten Bedingungen testen zu lassen, versprach sie vor laufender Kamera, es zu tun. Das ist jetzt Jahre her, aber sie hat sich nicht bei Randi gemeldet. Ich wusste nicht, wie ich ihn erreichen soll, hat sie sich entschuldigt, und das finde ich großartig. Jemand besitzt hellseherische Fähigkeiten und schafft es nicht, eine Telefonnummer herauszufinden.
Die meisten, die sich bei Randi melden, sind naive, leichtgläubige oder geistig verwirrte Menschen, und er musste immer strengere Maßstäbe setzen, um niemanden zu großen Gefahren oder gesundheitlichen Risiken auszusetzen. Wenn jemand demonstrieren will, dass er sich unversehrt von einem
Weitere Kostenlose Bücher