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Die Frau mit dem roten Tuch

Die Frau mit dem roten Tuch

Titel: Die Frau mit dem roten Tuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Garder
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hätte das damals sehr viel klarer sagen können, denn ich habe ja nicht auf deine plötzliche Überzeugung von einem Leben danach reagiert, sondern darauf, dass du aufgrund dieser Überzeugung die »Preiselbeerfrau« für eine Offenbarung aus dem Jenseits gehalten hast. Wie du richtig sagst, haben wir ihr Erscheinen gemeinsam erlebt. Und natürlich habe auch ich sie mit dem in Verbindung gebracht, was wir kurz zuvor oben beim Eldrevatn erlebt hatten. Im Gegensatz zu dir konnte ich nur nicht glauben, dass sie dort gestorben war und sich uns jetzt von der »anderen Seite« her näherte.
     
    Ich verstehe. Aber mach weiter, Steinn. Ich will dich erst ganz verstehen, dann werde ich, wenn die Reihe an mir ist, dafür sorgen, dass auch ich verstanden werde. Also sprich offen zu mir, ich kann’s vertragen.
     
    Gut: Ich glaube nicht, dass sich jemals in der Geschichte der Menschheit jemand offenbart hat, weder Götter noch Engel, weder Geister noch Ahnen, weder Unterirdische noch Spukgestalten. Sie haben sich den Menschen und Völkern weder offenbart noch auf irgendeine Weise erklärt, aus dem einfachen Grund, dass es sie nicht gibt.
     
    Ich habe inzwischen fünf Kirschen gegessen. Ich lege die Kerne vor mir auf den Tisch, damit ich den Überblick behalte.
    Hier sind Gerüchte im Umlauf, dass Eides Gemischtwarenladen geschlossen werden soll, nachdem er seit 1883 von derselben Familie betrieben worden ist. Es gibt eben auch auf Nåra und in Ytrøygrend Läden, und auf der ganzen Insel gibt es nicht mehr als zweihundert Menschen, die fest hier leben. Trotzdem fände ich es bitter, den Laden auf unsererLandspitze zu verlieren. Natürlich kann man mit dem Auto oder dem Fahrrad nach Nåra fahren und dort einkaufen, aber wenn eine kleine Siedlung wie Kolgrov den Einkaufsplatz verliert, fällt erfahrungsgemäß die ganze Gemeinde auseinander, jedenfalls im Winter, wenn keine Sommergäste hier sind.
    Du erinnerst dich bestimmt an unsere vielen Radtouren in dem Sommer? Ich weiß, dass du dich erinnerst. Jeden Abend fuhren wir nach Søndre Hjønnevåg, um uns das Meer und den Sonnenuntergang anzusehen, und auf dem Heimweg badeten wir in allen kleinen Seen. Das mussten wir.
     
    Aber sprich weiter, Steinn. Ich bin nicht so zart besaitet, wie du zu glauben scheinst. Du schreibst, dass du nicht an übernatürliche Mächte glaubst …
     
    Du stellst hier die Fragen, und ich biete dir mein Galileo-Fernglas an. Versuch dir vor Augen zu halten, dass ausnahmslos alle Vorstellungen von »übernatürlichen« Phänomenen rein menschlichen Ursprungs sind und außerhalb der menschlichen Einbildung nicht die geringste Grundlage haben. Zum Ausgleich finden sie dort einen besonders fruchtbaren Nährboden. Ich glaube, drei Dinge sind dabei ausschlaggebend: erstens die übergroße Fantasie der Menschen, zweitens der uns innewohnende Drang, nach versteckten Ursachen auch dort zu suchen, wo keine zu finden sind, und drittens unsere angeborene Sehnsucht nach einem Neuanfang danach, also nach einem Leben nach dem Tod.
    Die menschliche Natur hat sich hier als ungewöhnlich produktiv erwiesen. Zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften und Kulturen haben die Menschen Vorstellungen von übernatürlichen Wesen wie Naturgeistern, Ahnen, Gottheiten, Monstern des Chaos, Engeln und Dämonen entwickelt.
     
    Du bist dir deiner Sache ganz schön sicher, das muss man dir lassen.
     
    Nimm zuerst unsere blühende Fantasie. Alle Menschen träumen, niemand ist also imstande, sich vollständig vor Halluzinationen zu schützen, und manchen von uns passieren solche Dinge auch im wachen Zustand. Dann glauben wir Phänomene zu sehen und zu spüren, ohne dass unsere Wahrnehmungen in der Wirklichkeit verankert wären. Wer hat sich nicht schon gefragt, ob er etwas, woran er sich erinnert, wirklich erlebt hat, oder ob es ihm nur erzählt wurde. Vielleicht kam es uns auch nur irgendwie in den Sinn, oder wir haben es geträumt oder uns vorgestellt.
    Ich bin selbst Menschen begegnet, die behaupten, Vertreter des »kleinen Volkes« gesehen zu haben. Aber unser Gehirn ist in jeder Sekunde unseres Lebens dermaßen voll von Sinneseindrücken, dass wir uns nicht wundern müssen, wenn es gelegentlich, wie soll ich sagen – »überkocht«. Es kommt dann eben zu kleinen Störungen, und die reichen von Sinnestäuschungen bis zu kompletten Hervorbringungen unserer Fantasie.
    Das ist alles ganz natürlich und normal, und ich habe nichts dagegen, wenn wir in dem Zusammenhang von

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