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Die Frau mit dem roten Tuch

Die Frau mit dem roten Tuch

Titel: Die Frau mit dem roten Tuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Garder
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nicht glauben. Siehst du nicht, dass der sinnlose Konsum in großen Teilen der Welt nur die Folge eines groben Materialismus ist? Dieser Materialismus ist das genaue Gegenteil von geistiger Orientierung, wenn du mich fragst. Man überschlägt sich, um Methoden zu finden, mit denenwir die Freisetzung von Klimagasen verhindern können. Das Einzige, was niemand in die Rechnung einzubeziehen wagt, sind die vielen Möglichkeiten, die wir hätten, um unseren hemmungslosen Konsum zu reduzieren, das schamloseste Ex und Hopp, das die Welt jemals gesehen hat. Wir leben in einer Epoche, die unsere Nachfahren vielleicht einmal als Konsumfaschismus bezeichnen werden. Die Ideologie des Konsums wird man dann weitgehend als Religionsersatz deuten, davon bin ich überzeugt.
     
    Vielleicht hast du recht, doch, ich gebe mich geschlagen. Ich habe wirklich keinen Beleg für die Behauptung, dass diejenigen, die an ein Jenseits glauben, sich weniger für unseren Planeten interessieren als die, die nicht daran glauben. Trotzdem warne ich vor der Vorstellung, dass »Himmel und Erde vergehen« sollen und auf die Gläubigen eine andere Welt mitsamt Erlösung wartet.
     
    Hier bei mir wartet man jedenfalls auf einen kleinen Szenenwechsel. Ich glaube, die anderen haben es satt, wie sehr ich mich heute abgesondert habe, und ich muss zugeben, dass mein Verhalten etwas Demonstratives hat. Vielleicht war die Leitung vom Gartentisch ins Haus doch ein bisschen übertrieben. Es ist der letzte Tag, den wir hier draußen haben, und jetzt sitzen wir beide schon über sechs Stunden zusammen. Ein paar kleine Spaziergänge mit unserer riesigen Gießkanne habe ich zwar gemacht, aber beim ersten Pling des Laptops habe ich die Kanne bei den Blumenbeeten stehen lassen und bin zum Tisch zurückgestürzt. Niels Petter sieht mich nicht mehr an, wenn er vorbeigeht. Er runzelt nur wütend die Stirn.
     
    Das Kabel habe ich übrigens schon wieder aufgerollt und in den Geräteschuppen gelegt. Der Akku ist aufgeladen, und die Schüssel mit den Kirschen ist leer.
    Und ich muss Wiedergutmachung leisten. Ich habe mich angeboten, ein gutes Kabeljauessen auf den Tisch zu bringen. Die Jungs haben heute Vormittag drei große Kabeljaus gebracht, und ich habe sie kaum eines Blickes gewürdigt, die Fische, meine ich. Dafür weiß ich, glaube ich, als Einzige hier etwas über eine Flasche roten Burgunder. Die wird heute meine kleine Trumpfkarte werden, oder vielleicht sollte ich sagen, mein Ablass. Die Flasche habe ich in einer Kommodenschublade unter etlichen Schichten Tischtücher versteckt, und ein großes Kabeljauessen am letzten Abend war genau das, was mir dabei vorgeschwebt hat.
    Am letzten Tag rudern sie immer noch einmal zum Angeln hinaus, und ich nehme nicht gern Fisch mit in die Stadt, nicht mal in der Kühltasche. Wenn man aus Bergen kommt, läuft man nicht mit Fischen in der Kühltasche herum. Wir gehen lieber auf den Markt und kaufen uns lebende.
     
    Aber ich habe mir etwas überlegt. Kannst du unseren Mailwechsel für den Augenblick nicht einfach mit ein paar Worten über die Eröffnung der Klimaausstellung beenden?
    Ich stelle schnell Wasser auf, schäle ein paar leckere Kartoffeln hier aus der Gegend, mache einen Salat und decke den Tisch, dann lese ich wieder. Ich werde nur heute nicht mehr schreiben.
    Okay?
     
    Du warst also abgereist, und ich wanderte lange auf der großen Rasenfläche am Wasser hin und her. Dann ging ich zum Duschen auf mein Zimmer und wieder nach unten ins Kaminzimmer. Dort habe ich einige der anderen Gäste begrüßt, bevor wir zu einem Kurzvortrag über den Zusammenhang zwischen der Gletscherschmelze und Klimaveränderungen ins neu eingerichtete Café gingen. Nach einem Glas Weißwein und einer interessanten kleinen Einführung in die Geschichte des Hotels, des Dorfes und des Gletschertourismus setzten wir uns zum Abendessen. Ich fühlte mich ein wenig gebauchpinselt, weil ich am »Ehrentisch« platziert worden war.
    Nach dem Essen wollte ich ein Glas Calvados bestellen. Ich hatte die ganze Zeit an dich gedacht, oder an uns, an unsere Reise in die Normandie. Aber sie hatten keinen Calvados mehr. Es war, als hätte ich davon nur geträumt, als hätten sie ihn nie im Angebot gehabt. War meine Erinnerung überhaupt richtig? Und wenn der Calvados schon eine falsche Erinnerung war, wie konnte ich mich dann auf alles andere verlassen, woran ich mich von damals zu erinnern glaubte? Ich protestierte energisch gegen das Angebot, ersatzweise ein

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