Die Frau mit dem roten Tuch
ja auch nicht für wertlos, und wir freuen uns darüber, dass Snorri so viel von der alten nordischen und germanischen Mythologie gesammelt hat, bevor es in Vergessenheit geriet.
Ich habe noch mehr auf dem Herzen, aber ich würde zwischendurch gern etwas von dir hören, darum schicke ich diese erst nur vorsortierten Gedanken los, bevor dein Akku endgültig den Geist aufgibt.
* * *
Ich bekomme keine Antwort von dir, also hast du vielleicht schon die Akkuprobleme. Bis auf Weiteres, ich meine, bis du antwortest, fahre ich also in meinen bescheidenen Betrachtungen fort.
Wenn ich alle Vorstellungen von übernatürlichen oder übersinnlichen Phänomen zurückweise, möchte ich damit zugleich meine Skepsis gegenüber allem ausdrücken, was es innerhalb der etablierten Religionen an vergleichbaren Vorstellungen gibt. In meinen Augen sind das zwei Seiten derselben Medaille, und es wäre noch die Frage, ob man wirklich eine prinzipielle Trennungslinie zwischen Offenbarungsreligionen und einem freien, undogmatischen Umgang mit Vorstellungen von übernatürlichen Phänomenen ziehen kann. Mir scheint, der Unterschied besteht nur darin, dass vergleichbare Geschichten in der Parapsychologie wild wuchern, während sie in den großen Weltreligionen längst zu Dogmen erstarrt sind und ihre Rolle im Rahmen eines geordneten und organisierten Glaubens an das Eingreifen göttlicher Mächte spielen.
Wie sollte man überhaupt eine scharfe Trennungslinie zwischen »Glaube« und »Aberglaube« ziehen können? Der Glaube des einen ist der Aberglaube des anderen – und umgekehrt. Justitias Waage hat zwei Schalen.
Ich kann auch den Unterschied zwischen dem Reden in Zungen und spiritistischem Fraternisieren mit Geistern nicht erkennen. Ist nicht auch der Zungenredner ein »Medium«? Ebenso wenig sehe ich den Unterschied zwischen religiösen Prophezeiungen und den immer neuen Varianten von Weissagekünsten. Ob wir nun von »Wundern« oder Psychokinese sprechen, von »Himmelfahrt« oder Levitation, für mich handelt es sich immer nur darum, dass die Aufhebung sämtlicher Naturgesetze behauptet wird.
Die Vorstellung, das »Übernatürliche« könne sich in einigen seltenen Fällen offenbaren, haben der Volksglaube, die Parapsychologie und die Weltreligionen gemeinsam – sie steht im diametralen Gegensatz zu dem, was wir als wissenschaftliches Weltbild bezeichnen. Du scheinst das Wort »Erscheinung« vorzuziehen, aber das bedeutet auch nichts wesentlich anderes als »Offenbarung«.
Die paraspychologische Forschung, auf die du dich beziehst, war ein Versuch, dem Glauben an ein Leben nach dem Tod ein wissenschaftliches Fundament zu verschaffen, nachdem Darwinismus und Freidenkertum die traditionellen Religionen schon seit geraumer Zeit bedrohten. Du hast das Ehepaar Rhine erwähnt, und ich habe mich kundig gemacht: Wie andere Pioniere der experimentellen Parapsychologie waren sie von dem Wunsch getrieben, die Unsterblichkeit der Seele zu beweisen. Hätten sie erst hieb- und stichfeste Beweise dafür, dass es Telepathie wirklich gibt, dann wäre es auch leichter, den Glauben an eine unsterbliche menschliche Seele zu verteidigen. So dachten sie. Sie nahmen eine »freie« Seele an, die nur vorübergehend in unserem Gehirn zu Gast, aber nicht unlösbar mit ihm verbunden ist, doch ein Beweis für eine solche Seele hat sich bis heute nicht erbringen lassen.
Noch eine Mail. Die Frage ist nur, kommt sie auch bei dir an?
Yes, Sir. Ich habe im Geräteschuppen ein altes Kabel gefunden und bin jetzt mit einer Steckdose im Haus verbunden. Mit der langen roten Leitung sieht der Laptop plötzlich aus wie ein Satellit des kleinen Elektrizitätswerks auf der Insel. Man könnte sagen, für den Moment ist er physisch, aber nicht unlösbar mit dem Haus und der Umgebung verbunden .
Übrigens haben wir hier im Haus gerade eine WLAN-Verbindung bekommen, und so kann ich ohne Leitung sogar im Garten mit der ganzen Welt kommunizieren.
Vielleicht stellst du dir versuchsweise einmal vor, dass nicht nur Menschen in der Lage sind, solche drahtlosen Verbindungen herzustellen …
Du denkst an Telepathie und den Kontakt mit den Geistern Verstorbener?
Ich denke an vieles. Aber es wäre mir lieber, wenn du weitermachen würdest, damit ich eine echte Chance habe, dich zu verstehen. Erst schreibst du, was du denkst, und ich frage, wenn ich etwas genauer wissen möchte, dann bin ich mit meinen Gedanken an der Reihe.
Das ist okay. Lass
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