Die Frau mit dem roten Tuch
Glas Cognac aufs Haus zu trinken, ich glaube, die junge Bedienung machte es, weil sie wusste, dass ich am nächsten Tag die Rede vorm Mittagessen halten sollte. Ich lehnte also ab und bat stattdessen um ein großes Bier und einen kleinen Wodka auf eigene Rechnung.
Es ging so hoch her im Kaminzimmer, dass es bestimmt nicht auffiel, wie früh ich schlafen ging. Ich schlief fast sofort ein. Ich hatte ja nicht nur Bier und Wodka getrunken. Ich hatte dich wiedergesehen. Ich war wieder auf der Berghütte gewesen. Und ich war wieder zu dem Birkenwäldchen gegangen.
Am nächsten Morgen wurde ich früh vom Geschrei der Möwen geweckt. Als ich zum Frühstück herunterkam, öffneten sie gerade erst die Türen zum Speisesaal. Auch an diesem Morgen ging ich mit meiner Kaffeetasse hinaus auf die Veranda. Aber du warst nicht mehr da. Ich saß allein in der Morgensonne und hörte die Blätter der Blutbuche im Wind flüstern. Die Möwen flatterten und schrien über dem Lebensmittelladen und dem alten Dampferanleger. Eine grün gekleidete Gestalt angelte draußen auf dem Fjord von einem Ruderboot aus.
Etwas in mir protestierte gegen diese allzu idyllische Morgenstimmung.
Einige Stunden später wurden wir zum Gletschermuseum gefahren. Uns wurde gezeigt, wie hoch das Wasser im Fjord in einigen Jahrzehnten stehen könnte, wenn wir die Klimaänderung nicht in den Griff bekommen. Ich fragte mich, ob sie dabei auch an die vielen Sedimente gedacht hatten, die kontinuierlich vom Gletscher heruntergespült werden und das Delta am Fuß des Gletschers immer weiter in den Fjord hinein verschieben. Heute werden Kartoffeln angebaut, wo vor tausend Jahren noch ein Wikingerhafen lag.
In der eigentlichen Klimaausstellung wurden wir dann in kleinen Gruppen geführt und zwar zuerst in eine Kammer, wo wir unter lautem Getöse die Entstehung der Erde vor 4,6 Milliarden Jahren erleben konnten. Im nächsten Raum erfuhren wir, wie das Leben auf der Erde vor ca. 40 Jahrmillionen ausgesehen hat, und danach, wie die letzten Eiszeiten die Oberfläche der Erde geprägt haben. Dann ging es weiter in ein kleines Zimmer, wo man uns zeigte, wie der Treibhauseffekt funktioniert und wie unerträglich andererseits die Zustände auf unserem Planeten wären, wenn es keinen Treibhauseffekt gäbe. Wir hörten, wie störend sich der von Menschen geschaffene Treibhauseffekt auf das uralte Karbongleichgewicht auswirkt und wie es auf der Erde in den Jahren 2040 und 2100 aussehen wird, wenn wir keine drastischen Maßnahmen ergreifen, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern. Das war nicht lustig. Zum Glück erfuhren wir auch, wie es in den Jahren 2040 und 2100 aussehen wird, wenn es uns doch gelingt, das Wachstum der Erdbevölkerung zu begrenzen, den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern und die fatale Abholzung von Wäldern und Regenwäldern zu stoppen. Noch immer kann sich unser Planet wieder fangen. Ganz zum Schluss zeigte man uns prachtvolle Dias von verschiedensten Landschaften der Erde, vor allem sah man die atemberaubende Vielfalt von Pflanzen und Tieren auf unserem Planeten. Die Kommentare zu den Bildern stammten von David Attenborough: »… but we still have time to act to make changes that will secure the life of this planet. This is the only home we have …«
Nach der feierlichen Eröffnung der Ausstellung wurden wir in Busse gescheucht und zum Supphellebreen gefahren, wo es einen Empfang mit Sekt, Erdbeeren und Häppchen unter freiem Himmel gab. Die Hotelangestellten hatten das vorbereitet, und irgendwann entdeckte mich die freundliche Hotelbesitzerin, die in den vergangenen vierundzwanzig Stunden offenbar schrecklich viel zu tun gehabt hatte. Ich glaube, sie hatte inzwischen begriffen, dass ich zur Eröffnung der Klimaausstellung dort war, und wusste, dass ich zwei Stunden später im Hotel eine Rede halten sollte.
Sie kam auf mich zu, lächelte warm und herzlich und fragte natürlich nach dir.
»Wo ist Ihre Frau?«, fragte sie.
Und ich konnte sie einfach nicht enttäuschen. Das konnte ich nicht, Solrun, deshalb sagte ich nur, du hättest Fjærland in aller Eile verlassen müssen, wegen einer Familiensache zu Hause in Bergen.
»Etwas mit den Kindern?«, fragte sie.
»Nein, nur eine alte Tante«, log ich.
Sie blieb stehen und überlegte kurz, vielleicht wusste sie nicht so recht, wie persönlich sie werden durfte. Dann fragte sie: »Aber Sie haben Kinder?«
Was sollte ich da sagen? Ich hatte schon gelogen, weil ich ihr nicht sagen
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