Die Frau mit dem roten Tuch
lächeln. Ich konnte sagen: »Tausend Dank!« Aber ich konnte ihm nicht von der Steinzeit erzählen.
Ich wollte nach Hause. Ich wollte nach Hause zu meinen Eltern. Das war das Einzige, was ich sicher wusste. Ich hatte sie nicht angerufen, um meinen Besuch anzukündigen. Ich konnte nicht weiter denken als daran, wie ich zu Hause über die Schwelle treten würde. Sie würden mich in dem Zustand aufnehmen müssen, in dem ich kam.
Ich zog wieder in mein Kinderzimmer. Als ich ein paar Jahre später Niels Petter kennenlernte, bauten meine Eltern schon das alte Haus meiner Großmutter draußen in Kolgrov aus. Mein Vater trat kürzer, wie er es nannte, und am Ende verkaufte er die ganze Agentur. So wurde er zu einem wohlhabenden Mann. Er sagte schmunzelnd: Es ist schön in Bergen, Solrun. Aber ich glaube nicht, dass es gesund ist, in dieser Stadt zu sterben.
Sie lebten noch über zwanzig Jahre in Kolgrov auf Ytre Sula, in der Hinsicht behielt er also recht. Mein Vater ist vor drei Jahren ohne Vorwarnung einfach eingeschlafen. Angeblich saß er im Sessel und hielt ein Cognacglas in der Hand, ein altes Familienerbstück, das auf den Boden fiel und eine Viertelsekunde nach seinem Tod zerbrach. Und wie ich dir sicher erzählt habe, starb meine Mutter letzten Winter. Ich saß bei ihr und hielt ihre Hand. Sie hatte nur mich.
Als ich zum Studium nach Oslo kam, war ich so alt wie Ingrid heute. Das ist ein seltsamer Gedanke. Wir waren so jung!
Schon zwei Wochen, nachdem ich am Ostbahnhof angekommen war, haben wir uns ja kennengelernt, nach einer Vorlesung im Chateau Neuf. Du brauchtest Feuer für deine Zigarette, vielleicht war es auch nur ein Vorwand, aber von da an waren wir rund um die Uhr zusammen. Schon im Oktober sind wir in die kleine Wohnung in Kringsjå gezogen. Es gab welche auf Blindern, die ihren Neid schlecht verbergen konnten. Wir waren etwas Besonderes. Wir waren so glücklich!
Natürlich habe ich im Zug geweint. Ich habe mich nach Hause geweint, nach Bergen. Ich verstand gar nichts mehr. Ich wusste, dass wir mit einem Schlag vollkommen unterschiedlich dachten, aber ich konnte nicht begreifen, warum wir damit nicht leben können sollten. Wir waren doch nicht das erste Paar auf der Welt, das in Glaubensdingen unterschiedlicher Meinung war. Oder meinst du, dass ein gläubiger und ein nicht-gläubiger Mensch auf keinen Fall als Mann und Frau zusammenleben können?
Wie sehr du meine Bücher gehasst hast, Steinn! Und ganz besonders das eine. Wie du es verachtet hast, und wie du mich verachtet hast, weil ich darin gelesen habe. Oder warst du nur eifersüchtig? Du hattest fünf Jahre lang meine gesamte Aufmerksamkeit besessen. Ich hatte keinen anderen Gedanken gehabt als den an dich und uns. Nach der Begegnung mit der Preiselbeerfrau und nachdem ich angefangen hatte, in dem Buch aus dem Hotel zu lesen, wuchs in mir ein intensiver Glaube an ein Dasein nach dem irdischen Leben. Hättest du mir diesen Glauben nicht einfach lassen können?
Wer bist du eigentlich? Ich meine, heute. Ich habe dich gefragt, was du glaubst, und du hast mit einer naturwissenschaftlichen Litanei geantwortet, ganz so als wolltest du es dir nicht mit der Fakultät verderben, die dich beschäftigt. Dass du ein Dissident wärst, kann man dir beim besten Willen nicht nachsagen. Vom Big Bang über die Therapsiden zum Australopithecus und so weiter und so fort. Ich wiederhole meine Frage, und du antwortest mit einer Liste der Dinge, an die du nicht glaubst. Aber ich lasse nicht locker, Steinn, ich bin hartnäckig, weißt du. Ich werde dich mit dorthin zurücknehmen, wo wir einmal gemeinsam aufgebrochen sind. Ehe ich mehr davon erzähle, woran ich selbst glaube, will ich mit dir zurück zu dem verzauberten Lebensgefühl, das wir einmal hatten, an das wir aber beide keinen Funken Hoffnung knüpfen konnten. Ich frage: Was ist die Welt, Steinn? Was ist ein Mensch? Und was ist dieses Sternenabenteuer, in dem wir als kleine Zauberperlen aus Bewusstsein herumschwimmen? Aus Psyche, Gemüt und Geist? Kannst du auch nur einen Schimmer von Hoffnung für Seelen wie uns erkennen?
Hier bin ich wieder.
Traurig, die Geschichte deiner Heimreise damals nach Bergen.
Und was du zum Schluss sagst, trifft mich. Vielleicht habe ich dir wirklich kleinkarierte Antworten auf große Fragen gegeben. Ein bisschen bin ich mit den Jahren wohl doch zum Fachidioten geworden. Trotzdem meine ich, man muss sich an Tatsachen halten. Man kann die wildesten Hypothesen und
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