Die Frau mit dem roten Tuch
Quarks gebildet, und kurz darauf entstanden Sauerstoff- und Heliumkerne. Ganze Atome mit Elektronenschalen entstanden erst Hundertausende von Jahren später, und noch immer haben wir es ausschließlich mit Sauerstoff und Helium zu tun. Die schwereren Atome wurden vermutlich in der ersten Generation von Sternen »geschmiedet« oder »zusammengekocht« und düngten von da an das Universum. Düngten – das Wort ist natürlich tendenziös. Ich wähle es bewusst, weil wir uns mit den schwereren Atomen dem Garten des Lebens zu nähern beginnen und damit uns selbst. Denn wir bestehen aus diesen Atomen, genau wie der Planet, auf dem wir leben.
Wenn die Naturwissenschaft erklären zu können glaubt, wie das Leben auf der Erde entstanden ist, dann räumt sie gleichzeitig ein, dass die Entstehung von Leben zum Beispiel in einer »Ursuppe« wahrscheinlich war. Alles, was in der Natur geschieht, geschieht schließlich notwendigerweise. Warum sollte das nicht auch für die Entstehung von Leben gelten?
Wir wissen heute, dass viele Bausteine des Lebens durch einfache chemische Verbindungen synthetisch hergestellt werden können. Es gibt überhaupt keine scharfe Trennung mehr zwischen dem, was früher organische und anorganische Chemie genannt wurde. Auch draußen im Weltraum sind die Moleküle nachgewiesen worden, aus denen das Leben sich zusammensetzt. In den letzten Jahren sind organische Verbindungen wie Alkohol und Ameisensäure in interstellaren Staubwolken nachgewiesen worden. Und erst kürzlich wurde im Weltraum die Aminosäure Glyzin entdeckt. In Kometenschweifen und in fernen, Milliarden von Lichtjahren entfernten Galaxien gibt es Moleküle des Lebens. Aber die Astrochemie ist noch immer eine Wissenschaft, die in den Kinderschuhen steckt.
Das Leben oder die Moleküle des Lebens auf unserem Planeten müssen nicht zwangsläufig hier entstanden sein. Beides kann auch aus dem Weltraum gekommen sein, ein Komet könnte es zum Beispiel auf die Erde gebracht haben. Das meiste Wasser auf unserem Planeten stammt aller Wahrscheinlichkeit nach von Kometen. Und dieses Wasser war natürlich nicht »sauber« und schon gar nicht steril.
Ich sitze in der Wirklichkeit, genauer gesagt, in einem Zug, und fasse im Geist die Geschichte des Universums zusammen. Was da geschehen ist, ist bemerkenswert, und ebenso bemerkenswert ist, dass ich dasitzen und das Gedächtnis dieser erstaunlichen Geschichte sein kann. Ich sitze zum Glück in Fahrtrichtung des Zuges, dafür sorge ich bei der Platzreservierung grundsätzlich, und links von mir schaue ich seit einer Stunde auf Krøderen hinab. Nebelwolken schweben wie wattige, albinoweiße Zeppeline über dem Binnensee, aber über den weißen Luftschiffen spannt sich ein schmutzig grauer Himmel, der sich im Wasser spiegelt und Krøderen dunkel und düster macht wie im Herbst. Es regnet nicht.
Unser Planet ist der einzige Ort im Universum, von dem wir ganz sicher wissen, dass es dort Leben gibt. Vor einigen Jahren wurden erstmals Planeten außerhalb unseres eigenen Sonnensystems nachgewiesen. Es hat so lange gedauert, weil man mit der Technologie von gestern solche extrasolaren Himmelskörper nicht beobachten konnte. Innerhalb weniger Jahre wurden dann aber fast zweihundert dieser Planeten gefunden. Vermutlich besitzt mindestens ein Viertel der sonnenähnlichen Sterne in der Milchstraße Planeten.
Wenn wir heute Astronomen fragen, ob sie glauben, dass es auch auf anderen Himmelskörpern im Universum Leben gibt, werden die allermeisten mit Ja antworten. Das Universum ist so unendlich groß, dass das, was auf unserem kleinen Hinterhof der Milchstraße geschehen ist, schlicht auch anderswo geschehen sein muss. So sagen sie. Ein Problem in dem Zusammenhang ist nur, dass dieselben Astronomen – ohne darüber nachzudenken – noch immer Monods Dogma vertreten, wonach das Universum nicht mit Leben »schwanger« gewesen sei. Wenn aber das Universum nicht mit Leben schwanger war, wie war dann die Beziehung zwischen dem Universum und seiner bemerkenswertesten Hervorbringung?
Während es noch vor wenigen Jahrzehnten von fantasievollen Vorstellungen außerirdischen Lebens nur so wimmelte, sucht die Astrobiologie heute vor allem nach Wasser. Es erscheint immer mehr als biochemisches Paradigma, dass wir dort, wo fließendes Wasser ist, auch mit Leben rechnen können. Das Erstaunen wäre vielleicht noch größer, wenn wir eines Tages einen fruchtbaren kleinen Planeten mit vom Wind gekräuselten
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