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Die Frau mit dem roten Tuch

Die Frau mit dem roten Tuch

Titel: Die Frau mit dem roten Tuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Garder
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dazusitzen und zu denken und darüber nachzudenken, was es ist, zu denken? Aber vor allem: Ist Bewusstsein ein kosmischer Zufall? Ist es dem reinen, puren Zufall geschuldet, dass dieses Universum in diesem Augenblick ein Bewusstsein seiner selbst und seiner eigenen Entwicklung hat? Oder liegt es im Gegenteil im Wesen dieses Universums?
     
    Es ist nicht das erste Mal, dass ich mir über diese grundlegende und eigentlich selbstverständliche Frage den Kopf zerbreche. Ich habe diese Frage verschiedentlich auch Biologen und Astrophysikern gestellt, und die erste Reaktion war oft Verweigerung, eine gewisse Verlegenheit angesichts der Problematik überhaupt. Vielen Naturwissenschaftlern gelten solche Fragen als unverzeihlich naiv. Erst wenn ich die Frage wiederholt und klargestellt habe, dass es mir nur um eine intuitive Antwort ging, bekam ich diese Antwort auch, und sie lautete in der Regel, das Phänomen Bewusstsein sei nichts weiter als ein kosmischer Zufall.
     
    Dass im Universum keine Absicht, keine Zielrichtung und kein Wesenskern festgelegt ist, erscheint den meisten Wissenschaftlern selbstverständlich. Dass auf unserem Planeten Leben entstanden ist und die Biosphäre sich zu dem entwickelt hat, was du »Zauberperlen aus Bewusstsein« nennst, ist ihnen schlicht und ergreifend die Folge eines blinden Zufalls. Oder wie der französische Biologe und Nobelpreisträger Jacques Monod es ausdrückt: Das Universum war nicht mit dem Leben schwanger und die Biosphäre nicht mit dem Menschen. Unsere Nummer ist gezogen worden, zufällig wie am Spieltisch in Monte Carlo.
    Wenn er dann das Leben als wesentliches oder vorhersehbares kosmisches Phänomen verwirft, dann mit folgenden Worten: Ich will behaupten, dass es in der Biosphäre keine vorhersehbare Klasse von Objekten oder Phänomenen gibt, sondern dass Leben eine besondere Begebenheit darstellt, die sich zwar mit den ersten Prinzipien vereinbaren lässt, die sich von diesen Prinzipien aber nicht herleiten lässt. Folglich ist sie in der Hauptsache unvorhersehbar.
    Das ist eine nützliche Präzisierung, und es ist gut möglich, dass Monods Behauptung zutrifft – auch wenn sich schwerlich eine Instanz finden wird, die sie verifizieren könnte. »Unvorhersehbar« bedeutet in diesem Zusammenhang, dass wir von Phänomenen reden, die so bizarr – und damit auch so singulär – sind, dass sie am äußeren Rand der physikalischen Gesetze anzusiedeln sind.
     
    In Monods Gesellschaft findest du mich allerdings nicht. Seit wir zwei zusammen waren, denke ich intuitiv, dass es durchaus im Wesen dieses Universums liegt, dass gerade hier Leben und Bewusstsein entstanden sind. Also steckt in mir vielleicht doch ein Dissident, wenn nicht als Weltbürger, dann wenigstens als Forscher an der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät. Die meisten Astronomen, Physiker und Biologen, die mir begegnet sind, behaupten nämlich das genaue Gegenteil. Für sie sind weder Leben noch Bewusstsein ein »wesentliches« oder »notwendiges« Produkt der ursprünglich leblosen Natur.
    Das Verständnisparadigma der zeitgenössischen Naturwissenschaften scheint vorauszusetzen, dass Atome und subatomare Teilchen oder auch Sterne und Galaxien, dunkle Materie und schwarze Löcher wesentlichere Ausdrucksformen dessen sind, was das Universum wirklich ist, als Leben und Bewusstsein, die der reduktionistischen Wissenschaft nur als willkürliche, zufällige und also »unwesentliche« Seiten der Natur erscheinen. Dass es Sterne und Planeten gibt, ist eine notwendige Konsequenz des Big Bang. Dass es außerdem Leben und Bewusstsein gibt, ist purem, reinem Zufall geschuldet, einem monströs unwahrscheinlichen Zusammentreffen verschiedenster Umstände, einer kosmischen Anomalie.
     
    In diesen Bahnen denke ich, als der Zug in den Bahnhof von Hønefoss einfährt. Auf einem kleinen Bildschirm über der Abteiltür steht Hønefoss 96 M. ü. d. M. Zwei Fahrgäste steigen aus und rauchen eine Zigarette.
    Es regnet nicht, aber über der Landschaft hängt ein grauer, angespannter Himmel, der jeden Moment bersten kann. Dann ein Pfiff, und der Zug fährt weiter, vorbei an gelben und grünen Feldern auf der einen und bewaldeten Höhenzügen auf der anderen Seite. Dunkle Wolkenfetzen treiben über den Tannen.
    Ich versuche mich daran zu erinnern, wie alles angefangen hat. Ich versuche mich an die Geschichte des Universums zu erinnern.
     
    Protonen und Neutronen wurden einige Mikrosekunden nach dem Big Bang aus

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