Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Gewerbeordnungsnovelle vom Jahre 1891 war für die Beschäftigung von erwachsenen Arbeiterinnen in Fabriken eine Normalarbeitszeit von elf Stunden täglich festgesetzt worden, die aber durch eine Menge Ausnahmen, welche die Behörden zulassen konnten, oft durchbrochen wurde. Die Nachtarbeit der Arbeiterinnen in Fabriken wurde auch verboten, doch konnte auch hier der Bundesrat Ausnahmen für Fabriken mit ununterbrochenem Betrieb oder für bestimmte Saisonbetriebe (zum Beispiel Zuckerfabriken) zulassen. Nur nachdem die internationale Berner Konvention vom 26. September 1906 die Einführung einer elfstündigen Nachtruhe (für Fabriken) vorschreibt, nachdem jahrelang die Sozialdemokratie energisch die Forderungen des Verbots der gewerblichen Nachtarbeit der Frauen und der Herabsetzung der täglichen Arbeitszeit bis auf acht Stunden befürwortet hat, geben endlich nach langem Widerstand Regierung und bürgerliche Parteien nach. Dann wurde aus der in der Kommission steckengebliebenen umfassenden Novelle zur Gewerbeordnung das Stück herausgegriffen, das sich auf die Regelung der Frauenarbeit bezieht. Außer dieser Bestimmung war in dem Gesetz vom 28. Dezember 1908 eine zehnstündige Maximalarbeitszeit für Frauen vorgesehen in allen Betrieben, in de nen mindestens zehn Arbeiter beschäftigt sind. An Vorabenden der Sonn- und Feiertage darf die Dauer acht Stunden nicht überschreiten. Arbeiterinnen dürfen vor und nach ihrer Niederkunft im ganzen während acht Wochen nicht beschäftigt werden. Ihr Wiedereintritt ist an den Ausweis geknüpft, daß seit ihrer Niederkunft wenigstens sechs Wochen verflossen sind. Arbeiterinnen dürfen weiter nicht in Kokereien und nicht zum Transport von Materialien bei Bauten aller Art verwendet werden. Trotz des energischen Widerstandes der Sozialdemokratie wurde ein Antrag angenommen, daß die höheren Verwaltungsbehörden die Überarbeit für fünfzig Tage gestatten können.
Besondere Beachtung verdient § 137a, der den ersten Eingriff in die Ausbeutung durch Heimarbeit bildet. Diese Bestimmung lautet: "Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern darf für die Tage, an welchen sie in dem Betrieb die gesetzlich zulässige Arbeit hindurch beschäftigt waren, Arbeit zur Verrichtung außerhalb des Betriebs vom Arbeitgeber überhaupt nicht übertragen oder für Rechnung Dritter überwiesen werden." Ungeachtet seiner Mängel bedeutet das neue Gesetz immerhin einen Fortschritt gegenüber dem gegenwärtigen Zustand.
Die immer stärkere Heranziehung der Frau zu industrieller Beschäftigung trifft aber nicht nur jene Beschäftigungsarten, für die sie sich entsprechend ihrer schwächeren physischen Kraft eignet, sondern alle Tätigkeiten, in welchen das Ausbeutertum aus ihrer Anwendung höheren Profit schlagen kann. Dazu gehören sowohl die anstrengendsten wie die unangenehmsten und für die Gesundheit gefährlichsten Tätigkeiten, und so wird auch hierdurch jene phantastische Auffassung auf ihre wahre Bedeutung reduziert, die in der Frau nur das zarte, fein besaitete Wesen sieht, wie es vielfach Dichter und Romanschreiber für den Kitzel des Mannes schildern.
Tatsachen sind halsstarrige Dinger, und wir haben es nur mit Tatsachen zu tun, denn diese bewahren uns vor falschen Schlüssen und sentimentalen Faseleien. Die Tatsachen aber lehren uns, wie wir schon wissen, daß unter anderem die Frauen beschäftigt werden: in der Textilindustrie, in der chemischen Industrie, in der Metallverarbeitungsindustrie, in der Papierindustrie, in der Maschinenindustrie, in der Holzindustrie, in der Industrie der Nahrungs- und Genußmittel, im Bergbau über Tage – in Belgien auch beim Bergbau unter Tage, sobald die Arbeiterin das 21. Lebensjahr überschritten hat. Ferner auf dem weiten Gebiet des Garten- und Feldbaus und der Viehzucht und den damit zusammenhängenden Industrien, endlich in den verschiedenen Erwerbszweigen, in denen sie schon seit langem, gewissermaßen als Privilegierte, ausschließlich zu tun hatten: bei dem Herstellen der Wäsche und der Frauenkleider, in den verschiedenen Zweigen des Modefachs, in der Stellung als Verkäuferinnen, Kontoristinnen, Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen, Schriftstellerinnen, Künstlerinnen aller Art usw. Zehntausende von Frauen des kleinen Mittelstandes sind als Ladensklavinnen in Verwendung und im Marktwesen tätig und sind damit fast jeder häuslichen Tätigkeit und namentlich der Kindererziehung entzogen. Endlich finden jüngere, und namentlich
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