Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
lassen.
Es ist ein Widersinn und ein schreiender Mißstand, daß Kulturfortschritte und Errungenschaften, die das Produkt der Gesamtheit sind, nur denen zugute kommen, die kraft ihrer materiellen Gewalt sie sich aneignen können, daß dagegen Tausende fleißiger Arbeiter und Arbeiterinnen, Handwerker usw. von Schrecken und Sorge befallen werden, vernehmen sie, daß der menschliche Geist wieder eine Erfindung machte, die das Vielfache der Handarbeit leistet, wodurch sie Aussicht haben, als unnütz und überzählig aufs Pflaster geworfen zu werden . Dadurch wird, was von allen mit Freuden begrüßt werden sollte, ein Gegenstand der feindseligsten Gesinnung, die in früheren Jahrzehnten mehr als einmal zu Fabriksturm und Maschinendemolierung die Ursache wurde. Eine ähnliche feindselige Gesinnung besteht heute vielfach zwischen Mann und Frau als Arbeiter. Diese ist ebenfalls unnatürlich. Es muß also ein Gesellschaftszustand zu begründen versucht werden, in dem die volle Gleichberechtigung aller ohne Unterschied des Geschlechts zur Geltung kommt.
Das ist durchführbar, sobald die gesamten Arbeitsmittel Eigentum der Gesellschaft werden, die gesamte Arbeit durch Anwendung aller technischen und wissenschaftlichen Vorteile und Hilfsmittel im Arbeitsprozeß den höchsten Grad der Fruchtbarkeit erlangt und für alle Arbeitsfähigen die Pflicht besteht, ein bestimmtes Maß von Arbeit zu leisten, das zur Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse notwendig ist, wofür die Gesellschaft wieder jedem einzelnen die Mittel zur Entwicklung seiner Fähigkeiten und zum Lebensgenuß gewährt.
Die Frau soll wie der Mann nützliches und gleichberechtigtes Glied der Gesellschaft werden, sie soll, wie der Mann, alle ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten voll entwickeln können und, indem sie ihre Pflichten erfüllt, auch ihre Rechte beanspruchen können. Dem Manne als Freie und Gleiche gegenüberstehend, ist sie vor unwürdigen Zumutungen gesichert.
Die gegenwärtige Entwicklung der Gesellschaft drängt immer mehr auf einen solchen Zustand hin, und es sind gerade die großen und schweren Übel in unserer Entwicklung, die einen neuen Zustand herbeizuführen nötigen.
Vierzehntes Kapitel - Der Kampf der Frau um die Bildung
1. Die Revolution im häuslichen Leben
Obgleich die gekennzeichnete Entwicklung in der Stellung der Frau mit Händen zu greifen ist, jeder sie sehen muß, der offene Augen hat, hört man noch täglich das Geschwätz vom "Naturberuf" der Frau, der sie auf Häuslichkeit und Familie hinweise. Diese Redeweise wird am lautesten dort gehört, wo die Frau den Versuch macht, in den Kreis der höheren Berufsarten einzudringen, zum Beispiel in die höheren Lehr- und Verwaltungsfächer, den ärztlichen und juristischen Beruf, die Naturwissenschaften usw. Die lächerlichsten Einwendungen werden hervorgesucht und unter dem Scheine der Gelehrsamkeit verteidigt. Als gelehrt geltende Herren berufen sich hier, wie in vielen anderen Dingen, auf die Wissenschaft, um das Absurdeste und Widersinnigste zu verteidigen. Ihr Haupttrumpf ist, die Frau sei an geistiger Befähigung dem Manne inferior, sie könne auf geistigem Gebiet nichts Bemerkenswertes leisten.
Diese Einwände entsprechen so sehr dem Vorurteil der meisten Männer über Beruf und Fähigkeiten der Frau, daß, wer sie erhebt, auf ihren Beifall rechnen kann.
Neue Ideen werden, so lange allgemeine Bildung und Einsicht so tief noch stehen wie heute, stets harten Widerspruch finden, namentlich wenn es im Interesse der herrschenden Klassen liegt, Einsicht und Bildung möglichst auf ihre Schicht zu beschränken. Daher werden neue Ideen anfangs nur eine kleine Minderheit für sich gewinnen, und diese wird in der Regel verspottet, verlästert und auch verfolgt. Sind aber die neuen Ideen gute und vernünftige, sind sie als notwendige Konsequenz aus den bestehenden Zuständen erwachsen, so werden sie an Verbreitung gewinnen, die Minderheit wird schließlich Mehrheit. So erging es bisher allen neuen Ideen im Laufe der Geschichte, und die Idee, die wirkliche und volle Emanzipation der Frau herbeizuführen, wird den gleichen Erfolg haben.
Waren einst nicht auch die Bekenner des Christentums eine kleine Minderheit? Hatten nicht die Reformatoren, das moderne Bürgertum übermächtige Gegner? Trotzdem haben sie gesiegt. Oder wurde die Sozialdemokratie vernichtet, weil sie im Deutschen Reiche zwölf Jahre ausnahmegesetzlich geknebelt
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