Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
wurde? Nie war ihr Sieg gewisser, als da man glaubte, sie tot gemacht zu haben.
Die Berufung auf den Naturberuf der Frau, wonach sie Haushälterin und Kinderwärterin sein soll, ist ebenso sinnreich als die Berufung darauf, daß es ewig Könige geben müsse, weil, so lange es eine Geschichte gebe, es irgendwo solche gab. Wir wissen nicht, wo der erste König entstand, so wenig wie wir wissen, wo der erste Kapitalist sich zeigte, aber wir wissen und sehen, daß sich das Königtum im Laufe der Jahrtausende wesentlich verändert hat, und die Tendenz der Entwicklung ist, es mehr und mehr seiner Macht zu entkleiden, bis eine Zeit kommt, und sie ist nicht mehr fern, in der es überflüssig ist. Wie das Königtum, so ist jede staatliche und gesellschaftliche Institution beständigen Wandlungen und Umformungen und schließlich dem Untergang unterworfen. Wir sahen in den historischen Darlegungen dieser Schrift, daß die heute geltende Form der Ehe und die Stellung der Frau keineswegs "ewig" so war wie heute, daß vielmehr beide das Produkt eines geschichtlichen Entwicklungsganges sind, der keineswegs seinen Abschluß gefunden hat. Konnte es vor ca. 2350 Jahren Demosthenes als den einzigen Beruf der Frau hinstellen, "legitime Kinder zu gebären und treue Hüterin des Hauses zu sein", so ist heute dieser Standpunkt überwunden. Wer wagte heute solches als "naturgemäß" zu verteidigen, ohne sich den Vorwurf der Geringschätzung der Frau zuzuziehen? Allerdings gibt es auch noch heute solche Käuze, die im stillen die Auffassung des alten Atheners teilen, aber keiner wagt öffentlich auszusprechen, was vor Jahrtausenden einer der bedeutendsten Männer Griechenlands frei und offen als selbstverständlich erklären durfte. Darin liegt der Fortschritt.
Hat nun die moderne Entwicklung Millionen Ehen untergraben, so hat sie auch andererseits wieder die Entwicklung der Ehe günstig beeinflußt. Vor wenigen Jahrzehnten galt es in jedem Bürger- und Bauernhause nicht nur als selbstverständlich, daß die Frau nähte, strickte und wusch, obgleich auch das schon vielfach aus der Mode gekommen ist, sie buk auch das Brot, spann, wob, bleichte, braute Bier, kochte Seife, zog Lichte. Außerhalb des Hauses ein Kleidungsstück anfertigen zu lassen, wurde als maßlose Verschwendung angesehen. Wasserleitung, Gasbeleuchtung, Gas- oder Petroleumkocher usw. – von der Elektrizität zu schweigen – nebst einer Unzahl anderer, heute in Haus und Küche vorhandenen Einrichtungen, waren unbekannte Dinge. Allerdings bestehen auch noch heute veraltete Zustände, aber sie sind Ausnahmen. Die Mehrzahl der Frauen unterläßt viele früher als selbstverständlich angesehene Verrichtungen, weil sie durch die Industrie besser, praktischer und billiger besorgt werden, als es die Hausfrau vermag, weshalb auch, wenigstens in den Städten, jede häusliche Einrichtung dazu fehlt. So hat in wenigen Jahrzehnten sich innerhalb unseres Familienlebens eine große Revolution vollzogen, der wir nur so wenig Beachtung schenken, weil wir sie für selbstverständlich halten. Veränderungen, die dem Menschen sozusagen unter den Augen hervorwachsen, beachtet er nicht, wenn sie nicht plötzlich vor ihn treten und die gewohnte Ordnung stören, aber gegen neue Meinungen, die ihn aus dem gewohnten Schlendrian zu reißen drohen, lehnt er sich auf.
Diese Revolution, die sich in unserem häuslichen Leben vollzog und immer weiter vorschreitet, hat die Stellung der Frau in der Familie auch nach anderer Richtung wesentlich verändert. Die Frau ist freier, unabhängiger geworden. Unsere Großmütter durften, waren sie ehrsame Meistersfrauen, nicht daran denken und dachten nicht daran, zum Beispiel Arbeiter und Lehrburschen fern vom Haushalt und vom Tische zu halten, dafür aber Theater, Konzerte und Vergnügungslokale, sogar an einem Wochentage, zu besuchen. Und welche von jenen guten, alten Frauen wagte daran zu denken, sich um öffentliche Angelegenheiten zu bekümmern, wie das bereits von vielen Frauen geschieht. Man gründet Vereine für die verschiedensten Zwecke, hält und gründet Zeitungen, beruft Kongresse. Als Arbeiterinnen treten sie in Gewerkschaften zusammen, sie kommen in die Versammlungen und Vereine der Männer, und besaßen bereits hier und da – wir reden jetzt von Deutschland – das Recht, zu Gewerbeschiedsgerichten wählen zu dürfen, ein Recht, das ihnen die rückständige Reichstagsmehrheit im Jahre des Heils Eintausendachthundertundneunzig wieder
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