Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
eine Dienerin.
Durch die betreffenden Gesetze von 1870, 1882 und 1893 bleibt die Frau nicht nur alleinige Besitzerin alles dessen, das sie in die Ehe bringt, sie ist auch Besitzerin alles dessen, was sie erwirbt oder durch Erbschaft und Schenkung erhält. Diese Rechtsverhältnisse können nur durch besonderen Vertrag zwischen den Ehegatten geändert werden. Die englische Gesetzgebung folgt hier dem Beispiel jener der Vereinigten Staaten. Seit der Custody of Infants Act von 1886 geht die elterliche Gewalt nach dem Tode des Vaters auf die Mutter über. In dem seit der Intestate Estates Act von 1890 geltenden reformierten Erbrecht ist der Mann nach wie vor bevorzugt. Beide Gatten besitzen Testierfreiheit. Sind aber keine Verfügungen getroffen, so behält der Vater das ganze bewegliche Vermögen der verstorbenen Frau. Die Witwe dagegen erbt nur ein Drittel des beweglichen Gutes und bezieht ein Drittel der Rente des Grundbesitzes, das übrige fällt den Kindern zu. Nach dem neuen Married Women's Property Act von 1908 ist die verheiratete Frau den Eltern und dem Manne Unterhalt schuldig. Es bleiben aber noch viele Reste des alten mittelalterlichen Rechtes geltend, die noch sehr stark die Lage der verheirateten Frau beeinträchtigen. Wie wir sahen, ist noch bis jetzt das Ehescheidungsrecht für die Frau sehr ungünstig. Ein Ehebruch des Mannes ist noch kein Scheidungsgrund für die Frau, sondern nur in Verbindung mit Grausamkeit, Bigamie, Notzucht usw.
Besonders rückständig bleibt noch im allgemeinen für die Frau das bürgerliche Recht in Frankreich und in allen Länder – meistens romanischen Ländern –, die vom französischen Code civil stark beeinflußt sind oder wo er mit einigen Änderungen noch bisher gilt. So in Belgien, Spanien, Portugal, Italien, Russisch-Polen, in den Niederlanden und den meisten Kantonen der Schweiz. Über die Auffassung Napoleons I. bezüglich der Stellung der Frau existiert ein bezeichnendes Wort, das noch heute gilt: "Eins ist nicht französisch, eine Frau, die tun kann, was ihr gefällt" . Sobald sie heiratet, kommt die Frau unter die Vormundschaft des Mannes. Nach § 215 des Code civil darf sie ohne Zustimmung des Gatten nicht vor Gericht auftreten, auch wenn sie einen öffentlichen Handel hat. Nach § 213 soll der Mann die Frau schützen und sie hat ihm Gehorsam zu leisten. Er verwaltet das in die Ehe gebrachte Vermögen seiner Frau, er kann die Güter derselben verkaufen, veräußern und mit Hypotheken belasten, ohne daß er ihrer Mitwirkung oder Zustimmung bedarf. Die Folge ist, daß die Frau sich häufig in einem Zustand reiner Sklaverei befindet. Der Mann verschlemmt mit liederlichen Dirnen oder im Wirtshaus, was die Frau erwirbt, oder er macht Schulden oder verspielt den Erwerb der Frau und läßt sie und die Kinder darben, ja er hat sogar das Recht, vom Arbeitgeber die Auszahlung des Verdienstes seiner Frau zu beanspruchen. Wer könnte ihr verdenken, wenn sie bei solcher Sachlage auf die frivole Eheschließung verzichtete, wie das zum Beispiel in Frankreich so häufig der Fall war.
Sie kann weiter in den meisten romanischen Ländern – in Frankreich bis 1897 – auch nicht als Zeuge auftreten bei dem Abschluß von Verträgen, Testamenten und notariellen Akten. Dagegen läßt man sie – seltsamer Widerspruch – als Zeugin vor Gericht fungieren in allen Kriminalfällen, wo unter Umständen ihr Zeugnis die Hinrichtung eines Menschen herbeiführen kann. Kriminalrechtlich wird sie allerwärts für vollwertig angesehen und sie wird für jedes Verbrechen und Vergehen mit gleichem Maße gemessen wie der Mann . Dieser Widerspruch kommt unseren Herren Gesetzgebern nicht zum Bewußtsein. Als Witwe darf sie ein Testament über ihren Nachlaß verfassen, aber als Testamentszeugin wird sie in einer großen Anzahl Staaten nicht zugelassen, doch kann sie nach Artikel 1029 des Code civil als Testamentsvollstreckerin ernannt werden. In Italien ist sie seit dem Jahre 1877 auch zivilrechtlich als vollwertige Zeugin zugelassen.
Die Bevorzugung des Mannes tritt besonders grell in der Ehescheidungsgesetzgebung zutage. Nach dem Code civil war in Frankreich dem Ehemann der Antrag auf Ehescheidung gestattet, sobald die Ehefrau sich des Ehebruchs schuldig machte, dagegen konnte nach Artikel 230 die Frau einen solchen Antrag nur stellen, wenn der Ehemann seine Konkubine in den gemeinsamen Haushalt aufnahm. Dieser Artikel ist durch das Gesetz über die Ehescheidung vom
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