Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
vorenthalten. Jeder kann allen erfüllbaren Wünschen und Ansprüchen Rechnung tragen, aber nicht auf Kosten anderer. Er bekommt, was er der Gesellschaft leistet, nicht mehr, nicht weniger. und bleibt jeder Ausbeutung durch einen dritten entzogen.
7. Gleichheit der Arbeitspflicht für alle
"Aber wo bleibt der Unterschied zwischen Faulen und Fleißigen, zwischen Intelligenten und Dummen?" Das ist eine der Hauptfragen unserer Gegner, und die gegebene Antwort macht ihnen den größten Kopfschmerz. Daß zum Beispiel in unserer Beamtenhierarchie dieser Unterschied zwischen "Faulen" und "Fleißigen", "Intelligenten" und "Dummen" nicht gemacht wird, sondern das Dienstalter über die Höhe des Gehaltes und meist auch über das Avancement entscheidet, es sei denn, es wird eine besondere Vorbildung für einen höheren Posten erfordert, daran denkt keiner dieser Pfiffikusse und neunmal Weisen. Der Lehrer, der Professor – und es sind besonders die letzteren die naivsten Frager – rücken auf das Gehalt ein, das die Stelle bringt, nicht infolge ihrer Qualität. Wie in vielen Fällen die Avancements in unserer Militär-, Beamten- und Gelehrtenhierarchie nicht dem Tüchtigsten, sondern dem durch Geburt, Verwandtschaft, Freundschaft, Frauengunst Beglückten zufallen, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Daß aber auch der Reichtum sich nicht nach Fleiß und Intelligenz bemißt, beweisen schlagend die in der ersten Klasse des preußischen Dreiklassenwahlsystems wählenden Berliner Wirte, Bäcker, Fleischer, die manchmal nicht den Dativ vom Akkusativ unterscheiden können, wohingegen die Berliner Intelligenz, die Männer der Wissenschaft, die höchsten Beamten des Reiches und Staates in der zweiten oder dritten Klasse wählen. Einen Unterschied zwischen Faulen und Fleißigen, Intelligenten und Dummen gibt's nicht, weil, was wir darunter verstehen, verschwunden ist. "Faulenzer" nennt zum Beispiel die Gesellschaft den, welcher außer Arbeit geworfen, zum Vagabundieren gezwungen ist und schließlich wirklich Vagabund wird, oder den, der unter schlechter Erziehung aufgewachsen, verwahrloste. Wer aber den, der im Gelde sitzt und mit Nichtstun und Schlemmen die Zeit totschlägt, einen Faulenzer nennt, begeht eine Beleidigung, denn dieser ist ein "ehrenwerter" Mann.
Wie liegen nun in der neuen Gesellschaft die Dinge? Alle entwickeln sich unter gleichen Lebensbedingungen, und jeder ist dort tätig, wohin Neigung und Geschicklichkeit ihn hinweisen, daher werden die Unterschiede in der Leistung nur geringere sein . Die Atmosphäre der Gesellschaft, die jeden anregt, es dem anderen zuvorzutun, hilft ebenfalls die Unterschiede auszugleichen. Findet einer, daß er auf einem Gebiet nicht zu leisten vermag, was andere leisten, so wählt er sich ein anderes, das seinen Kräften und Fähigkeiten entspricht. Wer mit einer größeren Zahl Menschen in einem Betrieb zusammenarbeitete, weiß, daß wer in einer gewissen Tätigkeit als unfähig und unbrauchbar sich erwies, an einen anderen Posten gestellt, denselben aufs beste ausfüllte. Es gibt keinen normal angelegten Menschen, der nicht in der einen oder anderen Tätigkeit, sobald er an den richtigen Platz gestellt wird, selbst den höchsten Ansprüchen gerecht wird. Mit welchem Rechte verlangt einer einen Vorzug vor dem anderen? Ist jemand von der Natur so stiefmütterlich bedacht, daß er beim besten Willen nicht zu leisten vermag, was andere leisten, so kann ihn die Gesellschaft für die Fehler der Natur nicht strafen . Hat umgekehrt jemand durch die Natur Fähigkeiten erhalten, die ihn über die anderen erheben, so ist die Gesellschaft nicht verpflichtet, zu belohnen, was nicht sein persönliches Verdienst ist . Für die sozialistische Gesellschaft kommt weiter in Betracht, daß alle die gleichen Lebens- und Erziehungsbedingungen haben, daß jedem die Möglichkeit geboten ist, sein Wissen und Können entsprechend seinen Anlagen und Neigungen auszubilden, und so ist auch hierdurch die Gewähr gegeben, daß in der sozialistischen Gesellschaft nicht nur das Wissen und Können viel höher ist als in der bürgerlichen, sondern daß es auch gleichmäßiger verteilt und dennoch vielgestaltiger ist.
Als Goethe auf einer Rheinreise den Kölner Dom studierte, machte er in den Bauakten die Entdeckung, daß die alten Baumeister ihre Arbeiter gleich hoch nach der Zeit bezahlten; sie taten es, weil sie gute und gewissenhaft ausgeführte Arbeit haben wollten. Das erscheint der bürgerlichen
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