Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
eminenten Sinne eine Geldfrage . Unter solchen Verhältnissen ist ein gleiches Bildungsniveau für alle unmöglich . Einzelne können unter verhältnismäßig günstigen Umständen durch Überwindung vieler Schwierigkeiten und durch Anwendung großer Energie, die nicht viele besitzen, sich eine höhere Bildung aneignen. Die Masse nie, so lange sie in sozialer Unterdrückung und Abhängigkeit lebt .
In der neuen Gesellschaft sind die Existenzbedingungen für alle gleich. Die Bedürfnisse und die Neigungen sind verschieden und werden, weil in der Natur des Menschen begründet, verschieden bleiben, aber jeder kann sich nach Maßgabe der für alle gleichen Daseinsbedingungen entwickeln. Die uniforme Gleichheit, die man dem Sozialismus andichtet, ist wie so vieles ein Unsinn. Erstrebte er sie, er handelte unvernünftig, denn er käme mit der Natur des menschlichen Wesens selbst in Widerspruch und müßte darauf verzichten, die Gesellschaft nach seinen Prinzipien sich entwickeln zu sehen . Ja, gelänge es dem Sozialismus, die Gesellschaft zu überrumpeln und in unnatürliche Verhältnisse zu pressen, in kurzer Zeit würden diese neuen Verhältnisse, die sich als Fesseln fühlbar machten, gesprengt, und der Sozialismus wäre für immer gerichtet. Die Gesellschaft entwickelt sich nach den ihr immanenten Gesetzen, und sie handelt danach .
Eine der Hauptaufgaben der neuen Gesellschaft muß sein, die Nachkommenschaft entsprechend zu erziehen. Jedes Kind, das geboren wird, ist ein der Gesellschaft willkommener Zuwachs; sie erblickt darin die Möglichkeit ihres Fortbestandes, ihre eigene Fortentwicklung; sie empfindet also auch die Verpflichtung, für das neue Lebewesen nach Kräften einzutreten. Der erste Gegenstand ihrer Sorge ist demnach die Gebärende, die Mutter. Bequeme Wohnung, angenehme Umgebung, Einrichtungen aller Art, wie sie diesem Stadium der Mutterschaft entsprechen, aufmerksame Pflege für sie und das Kind sind erste Bedingung. Die Mutterbrust dem Kinde zu erhalten, so lange als es möglich und notwendig erscheint, ist selbstverständlich. Moleschott, Sonderegger, alle Hygieniker und Ärzte sind darin einig, daß nichts die Nahrung der Mutter voll ersetzt.
Diejenigen, die wie Eugen Richter sich darüber entrüsten, daß die junge Mutter an einen Niederkunftsort kommt, an dem sie von allem umgeben ist, was heute nur der Reichtum ermöglicht, und dieser vermag nicht zu leisten, was eigens eingerichtete Anstalten zu leisten vermögen, seien daran erinnert, daß gegenwärtig mindestens vier Fünftel der Menschen unter den primitivsten Verhältnissen und Zuständen geboren werden, die ein Hohn für unsere Kultur und Zivilisation sind. Und von dem letzten Fünftel unserer Mütter ist wieder nur eine Minderheit in der Lage, einigermaßen die Pflege und Annehmlichkeiten zu genießen, die in diesem Zustand einer Frau zukommen sollen. Tatsächlich gibt es in Städten mit vortrefflichen Einrichtungen für die Gebärenden auch schon heute nicht wenig Frauen, die, sobald sie ihre Stunde nahen fühlen, sich in jene Anstalten begeben und ihre Niederkunft erwarten. Die Kosten in diesen Anstalten sind aber so hohe, daß nur wenige Frauen davon Gebrauch machen können; andere schreckt allerdings das Vorurteil zurück . Wir haben also auch hier wieder ein Beispiel, wie überall die bürgerliche Welt die Keime für die Zukunftsgestaltungen in ihrem Schoße trägt .
Die Mutterschaft der meisten vornehmen Frauen bekommt übrigens einen eigentümlichen Beigeschmack durch die Tatsache, daß sie die Mutterpflichten so rasch als möglich an eine – proletarische Amme übertragen . Wie bekannt, ist zum Beispiel die wendische Lausitz (der Spreewald) die Gegend, aus der die Frauen der Berliner Bourgeoisie, die ihre Neugeborenen nicht selbst stillen wollen oder nicht zu stillen vermögen, ihre Ammen beziehen. Die Ammenzüchterei, die darin besteht, daß die Landmädchen sich schwängern lassen, um nach der Geburt ihrer Kinder sich als Amme an eine wohlhabende Berliner Familie vermieten zu können, wird gewerbsmäßig betrieben. Mädchen, die drei und vier uneheliche Kinder gebären, um sich als Amme verdingen zu können, sind keine Seltenheit, und je nachdem sie bei diesem Geschäft verdienen, erscheinen sie den jungen Männern des Spreewaldes als Frau begehrenswert. Vom Standpunkt der bürgerlichen Moral ist dieses eine verwerfliche Handlungsweise, aber vom Standpunkt des Familieninteresses der Bourgeoisie erscheint sie
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