Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
und Elend hervorrufen, und nicht die Überzahl der Menschen. Einige reichliche Ernten hintereinander drücken so die Preise der Nahrungsmittel, daß mancher Bodenbebauer daran zugrunde geht. Statt die Erzeuger in bessere Lage zu setzen, kommen sie in eine schlechtere. Ein großer Teil der Landwirte sieht eine gute Ernte heute als ein Unglück an , weil sie die Preise drückt. Und das sollen vernünftige Zustände sein? Um den Erntereichtum anderer Länder uns fernzuhalten, werden hohe Getreidezölle eingeführt, damit die Einfuhr des ausländischen Getreides erschwert wird und das inländische im Preise steigt. Wir haben nicht Mangel, sondern Überfluß an Nahrungsmitteln, wie wir Überfluß an Industrieprodukten haben. Wie Millionen Menschen Bedürfnisse für Industrieerzeugnisse aller Art besitzen, aber sie unter den bestehenden Eigentums- und Erwerbsverhältnissen nicht befriedigen können, so haben Millionen an den notwendigsten Lebensmittel Mangel, weil sie dafür die Preise nicht bezahlen können, obgleich die Lebensmittel im Überfluß vorhanden sind. Der Wahnsinn solcher Zustände liegt auf der Hand. Bei einer reichlichen Ernte lassen unsere Kornspekulanten oft absichtlich die Frucht zugrunde gehen, weil sie wissen, daß der Preis sich progressiv steigert, wie die Frucht mangelt, und da sollen wir Übervölkerung fürchten. In Rußland, Südeuropa und vielen anderen Ländern der Welt verfallen jährlich Hunderttausende Zentner von Getreide der Vernichtung, weil es an passenden Lagerräumen und geeigneten Transportmitteln fehlt. Viele Millionen Zentner von Nahrungsmitteln werden jährlich verschleudert, weil die Erntevorrichtungen unvollkommen sind oder es im entscheidenden Augenblick an Händen für die Ernte fehlt. Gar mancher Kornfeim, manche gefällte Scheune und ganze Wirtschaften werden niedergebrannt, weil die Versicherungsprämie den Gewinn erhöht; man vernichtet aus demselben Grunde Lebensmittel, aus dem man Schiffe mit Mann und Maus ins Meer versinken läßt . Bei unseren militärischen Übungen werden jährlich bedeutende Ernteerträge ruiniert – die Kosten eines nur wenige Tage dauernden Manövers belaufen sich auf Hunderttausende, und die Abschätzung fällt bekanntlich sehr mäßig aus –, und solche Manöver gibt es jedes Jahr eine größere Zahl. Für die gleichen Zwecke sind ganze Dörfer rasiert worden und werden große Flächen aller Kultur entzogen.
Man vergesse auch nicht, daß zu all den erwähnten Hilfsquellen das Meer kommt, dessen Wasserfläche sich zur Erdfläche wie 18 zu 7 verhält, also zweiundeinhalbmal so groß ist, und rationeller Ausbeutung seines enormen Nahrungsreichtums noch harrt. Es eröffnet sich uns also für die Zukunft ein Bild, das sehr verschieden ist von dem düsteren Gemälde, das unsere Malthusianer uns malen.
Wer kann überhaupt sagen, wo für unsere chemischen, physikalischen, physiologischen Kenntnisse die Grenze zu ziehen ist? Wer will wagen, vorauszusagen, welche Riesenunternehmungen die Menschheit späterer Jahrhunderte ausführen wird, um wesentliche Veränderungen in den klimatischen Verhältnissen der Länder und ihrer Bodenausnutzung zu erzielen?
Wir sehen bereits heute in der kapitalistischen Form der Gesellschaft Unternehmungen ausführen, die vor einem Jahrhundert als unmöglich und wahnsinnig galten. Breite Landengen werden durchstochen und Meere verbunden. Meilenlange Tunnels, in die Eingeweide der Erde gewühlt, verbinden durch die höchsten Berge getrennte Länder; andere werden unter dem Meeresboden gebrochen, um Entfernungen abzukürzen, Störungen und Gefahren zu vermeiden, welche für die durch das Meer getrennten Länder sich ergeben. Wo gibt es also einen Punkt, bei dem jemand sagen könnte: "Bis hierher und nicht weiter!" Nicht allein ist auf Grund unserer heutigen Erfahrung das "Gesetz des abnehmenden Bodenertrags" zu verneinen, es gibt außerdem kulturfähigen Boden im Überfluß, um von Tausenden Millionen Menschen erst angebaut zu werden.
Sollten alle diese Kulturaufgaben zugleich angegriffen werden, so hätten wir nicht zu viel, sondern zu wenig Menschen . Die Menschheit muß sich noch stark vermehren, um all den Aufgaben, die ihrer harren, gerecht zu werden. Weder ist der bebaute Boden ausgenutzt, wie er ausgenutzt werden könnte, noch sind für fast drei Viertel der Erdoberfläche die Menschen vorhanden, um sie bebauen zu können . Die relative Übervölkerung, die heute fortgesetzt das kapitalistische
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