Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Untugenden, die wir heute für unausrottbar halten, weil angeblich sie den Menschen angeboren sind .
Was speziell Schopenhauer betrifft, so beurteilt er als Philosoph die Frau ebenso einseitig, wie die meisten unserer Anthropologen und Mediziner, die in ihr nur das Geschlechtswesen, nie das Gesellschaftswesen sehen. Schopenhauer war auch nie verheiratet, er hat also für sein Teil nicht dazu beigetragen, daß eine Frau mehr die von ihm denselben zugeschriebene Lebensschuld erfüllte. Und hier kommen wir zu der anderen Seite der Medaille, die keineswegs die schönere ist.
Viele Frauen heiraten nicht, weil sie nicht heiraten können, das weiß jeder. Die Sitte verbietet der Frau, sich anzubieten; sie muß sich freien, das heißt wählen lassen, sie selbst darf nicht freien. Findet sich kein Freier, so tritt sie zu der großen Armee jener Armen, die ihren Lebenszweck verfehlten und bei dem Mangel eines sicheren materiellen Bodens meist der Not und dem Elend verfallen und oft genug auch dem Spotte preisgegeben sind. Wodurch entsteht aber das Mißverhältnis der Geschlechter? Viele sind rasch mit der Antwort zur Hand: es werden zu viel Mädchen geboren. Die das behaupten, sind falsch unterrichtet, wie sich zeigen wird. Andere schließen aus der Tatsache, daß, wenn die Frauen in der Mehrzahl der Kulturstaaten zahlreicher sind als die Männer, wohl oder übel Polygamie (Vielweiberei) zugelassen werden müsse. Die Polygamie widerspricht aber nicht nur unseren Sitten, sie ist auch für die Frau eine Herabwürdigung , was allerdings Schopenhauer bei seiner Geringschätzung und Verachtung der Frau nicht abhält, zu erklären: " Für das weibliche Geschlecht im ganzen ist Polygamie eine Wohltat ."
Viele Männer heiraten nicht, weil sie der Ansicht sind, eine Frau und die etwa nachfolgenden Kinder nicht standesgemäß erhalten zu können. Zwei Frauen zu erhalten ist aber nur einer kleinen Minderheit möglich, und unter dieser sind viele, die zwei und mehr Frauen besitzen, eine legitime und eine oder mehrere illegitim. Diese durch Reichtum Privilegierten lassen sich durch nichts abhalten, zu tun, was sie gelüstet.
Auch im Orient, in dem die Polygamie nach Sitte und Gesetz seit Jahrtausenden besteht, besitzen vergleichsweise wenige Männer mehr als eine Frau. Man spricht von dem entsittlichenden Einfluß des türkischen Haremlebens. Aber man übersieht, daß dieses nur einem winzigen Bruchteil der Männer, und zwar in der herrschenden Klasse , möglich ist, während die Masse der Männer in Einehe lebt. In der Stadt Algier waren Ende der sechziger Jahre unter 18.282 Ehen nicht weniger als 17.319 mit nur einer Frau, in 888 Ehen waren zwei Frauen und nur in 75 mehr als zwei Frauen. Konstantinopel, die Hauptstadt des türkischen Reiches, dürfte kein wesentlich anderes Resultat aufweisen. Unter der Landbevölkerung im Orient ist das Verhältnis zugunsten der Einehe noch auffälliger. Im Orient kommen wie bei uns auch die materiellen Verhältnisse in Betracht, welche die meisten Männer zur Beschränkung auf eine Frau nötigen . Wären aber diese für alle Männer gleich günstig, die Polygamie wäre dennoch nicht durchführbar, weil es an Frauen fehlte. Die unter normalen Verhältnissen fast gleiche Kopfzahl der beiden Geschlechter weist überall auf die Einehe hin .
Wir lassen zum Beweis hierfür die Zusammenstellung folgen, welche Bücher in einem Aufsatz im "Allgemeinen Statistischen Archiv" veröffentlichte .
Das Resultat dieser Zusammenstellung durfte für viele ein überraschendes sein. Mit Ausnahme von Europa, in dem durchschnittlich auf 1.000 männliche 1.024 weibliche Einwohner kommen, ist in allen übrigen Erdteilen das Gegenteil Tatsache. Nimmt man auch an, daß in den fremden Weltteilen, auch dort, wo Zählungen stattfanden, dieselben in bezug auf das weibliche Geschlecht besonders mangelhaft ausgefallen sind – das ist zum Beispiel anzunehmen von allen Ländern mit mohammedanischer Bevölkerung, in denen die Zahl der weiblichen Einwohner niedriger angegeben sein dürfte, als sie in Wirklichkeit ist –, so steht doch fest, daß, abgesehen von einzelnen europäischen Ländern, nirgends die Kopfzahl des weiblichen Geschlechts die des männlichen erheblich übertrifft.
Inzwischen hat das Kaiserliche Statistische Amt in Berlin in seiner Bearbeitung der Volkszählungsergebnisse von 1900 eine neue Zusammenstellung für europäische und außereuropäische
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