Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
derselben Weise wie bisher fortschreiten sollte, so dürfte der Zeitpunkt nicht mehr fern sein, wo es zweifelhaft werden könnte, ob die Kulturmenschen noch länger zu den Säugetieren zu zählen seien oder nicht" . Statt einer gesunden und heiteren Gefährtin, einer fähigen Mutter, einer ihren häuslichen Obliegenheiten nachkommenden Gattin hat der Mann eine kranke, nervöse Frau, bei welcher der Arzt nicht aus dem Hause kommt, die keinen Luftzug und nicht das geringste Geräusch vertragen kann. Wir wollen uns über diesen Gegenstand nicht weiter verbreiten, jedes kann sich das Bild weiter ausmalen; im eigenen Familien- und Bekanntenkreise gibt es Beispiele in Fülle.
Erfahrene Ärzte versichern, die größere Hälfte der Ehefrauen, namentlich in den Städten, befinde sich in mehr oder weniger anormalen Zuständen. Nach dem Grade der Übel und dem Charakter der Eheleute müssen solche Verbindungen unglückliche sein, und sie geben in der öffentlichen Meinung dem Manne das Recht, sich außereheliche Freiheiten zu erlauben, deren Kenntnis die unglücklichste Stimmung bei der Frau erzeugen müssen. Auch sind manchmal die sehr verschiedenen geschlechtlichen Anforderungen des einen oder anderen Teils Veranlassung zu tiefgehenden Differenzen, ohne daß die so wünschbare Trennung möglich wäre.
Hierbei darf nicht verschwiegen werden, daß ein erheblicher Teil der Männer der schuldige Teil ist an den schweren physischen Leiden, von welchen ihre Frauen in der Ehe betroffen werden . Ein erheblicher Teil der Männerwelt leidet infolge von Ausschweifungen an chronischen Geschlechtskrankheiten, die oft, weil sie ihnen keine großen Unbequemlichkeiten verursachen, auf die leichte Achsel genommen werden. Aber im geschlechtlichen Verkehr mit der Frau erzeugen sie bei dieser sehr unangenehme und verhängnisvoll wirkende Unterleibskrankheiten, die alsbald nach der Eheschließung sich einstellen und häufig bis zur Unfähigkeit zu empfangen oder Kinder zu gebären sich steigern. Gewöhnlich hat die unglückliche Frau keine Ahnung von der wahren Ursache ihrer Krankheit, die ihr Gemüt bedrückt, ihr das Leben verbittert und den Zweck der Ehe zerstört, und sie macht sich und empfängt Vorwürfe über einen Zustand, den der andere Teil verschuldete. Manches blühende Weib verfällt nach kaum geschlossener Ehe chronischem Siechtum, für das weder sie noch die Angehörigen eine Erklärung haben, denn der Arzt muß schweigen.
Wie neuere Untersuchungen ergeben haben, ist dieser Umstand – daß infolge von Gonorrhöe die Samenflüssigkeit des Mannes keine Samenzellen mehr enthält und daher der Mann zeitlebens unfähig ist, Kinder zu zeugen – eine verhältnismäßig häufige Ursache ehelicher Unfruchtbarkeit, im Gegensatz zu der alten bequemen Tradition der Herren der Schöpfung, welche immer bereit sind, die Schuld an dem mangelnden Kindersegen auf die Frau abzuwälzen .
Man sieht, es sind eine große Menge Ursachen wirksam, die in der überwiegenden Zahl der Fälle das heutige Eheleben nicht zu dem werden lassen, was es sein soll. Es ist also immerhin eine Anweisung von zweifelhaftem Wert, wenn selbst Gelehrte die Emanzipationsbestrebungen der Frau damit abgetan glauben, daß sie dieselbe auf die Ehe verweisen, die durch unsere sozialen Zustände immer mehr zu einem Zerrbild wird und immer weniger ihrem wahren Zweck entspricht.
Elftes Kapitel - Die Chancen der Ehe
1. Das Zahlenverhältnis der Geschlechter
Der Rat an die Frau, in der Ehe, als ihrem eigentlichen Beruf, ihr Heil zu suchen, ein Rat, dem von der Mehrzahl der Männer gedankenlos applaudiert wird, klingt aber wie der bitterste Hohn, wenn Ratgeber wie Beifallklatscher das Gegenteil tun. Schopenhauer, der Philosoph, hat für die Frau und ihre Stellung nur das Verständnis des Spießbürgers. Er sagt: "Das Weib ist nicht zu großen Arbeiten berufen. Sein Charakteristikon ist nicht das Tun, sondern das Leiden . Es bezahlt die Lebensschuld durch die Wehen der Geburt, Sorge für das Kind, Unterwürfigkeit unter den Mann . Die heftigsten Äußerungen der Lebenskraft und Empfindung sind ihm versagt. Sein Leben soll stiller und unbedeutsamer sein als das des Mannes. Zur Pflegerin und Erzieherin der Kindheit ist das Weib berufen, weil es selbst kindisch, zeitlebens ein großes Kind bleibt , eine Art Mittelstufe zwischen Kind und Mann, welcher der eigentliche Mensch ist .... Zur Häuslichkeit und Unterwürfigkeit sollen die Mädchen erzogen werden....
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