Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
begeistert,
als er sie betrachtete.
»Die Klamotten sind natürlich neu«, versuchte sie ihn
aufzuklären, »nur das Design ist alt. – Also, was war denn nun so wichtig, dass
du nicht länger warten konntest?«
Der Esstisch, für zwei Personen gedeckt, mit einem
romantischen Licht von Kerzen, die keine waren, hatte ihn abgelenkt. »Ach ja.
Der Alte hat mir während des Fluges so viel von Karen McDonnel erzählt, dass
ich mir nun manchmal einbilde, selbst dabei gewesen zu sein und sie gekannt zu
haben. Als ich dann herausfand, was mit ihr passiert ist, hat mich das
tatsächlich tief berührt. Weißt du, was mit ihr geschehen ist?«
»Sie stürzte am 27. Mai 2083, also vor zehn Jahren, mit
einer der ersten Maschinen ab, die um die halbe Welt in fünfundvierzig Minuten
fliegen konnten.«
Robert dachte sich verhört zu haben und sah sie ungläubig
an. Sie nahm die Weinflasche, öffnete sie und schenkte zwei Gläser voll.
»Richtig?«
»Ja, aber … wusstest du auch, dass sie nach dem Marsflug,
als es ihr psychisch so dreckig ging, Nancy, ihre ehemalige Geologin,
geheiratet hat?«
»Ohne sie hätte Karen diese schwierige Situation vermutlich kaum
überstanden. Sie brauchte einen Menschen in ihrem Leben, dem sie wirklich
vertrauen konnte, der sich um sie kümmerte, der für sie da war.« Sie reichte
Robert sein Glas.
»Und ihr Vater?«
»Der war wohl altersmäßig als auch emotional viel zu weit
entfernt von ihr.«
Sie beugte sich zu ihm hinab, ihr Gesicht ganz nah an dem
seinen und zog den Reißverschluss an ihrem Dekollete weiter nach unten. »Es
wäre ein riesiges Kompliment für mich, wenn du diese Geschichte am heutigen
Abend endlich ruhen lassen und dich mehr auf die Dinge konzentrieren könntest,
die direkt vor dir liegen.« Sie netzte mit der Zunge ihre geschminkten Lippen.
Weit lehnte er seinen Oberkörper zurück, als wolle er sich
ihr entziehen. Gleich darauf bemerkte er aber, wie unrealistisch und zugleich
auch kontraproduktiv sein angedeuteter Fluchversuch war. »Nur noch ein letzter
Punkt, Danielle, dann geb’ ich Ruhe.«
»Einen letzten Wunsch gewähre ich dir noch, Unseliger, doch
nützte ihn weise«, sagte sie, und Robert hatte den Eindruck, sie zitiere aus
einem antiken Theaterstück.
»Ich bin auch noch auf Dokumente gestoßen, die behaupten,
dass die beiden eine Tochter hatten. Adoption oder künstliche Befruchtung. Was
weiß ich. Ich konnte aber nirgends ein Bild von ihr finden. – Die Tochter –
vermutlich hässlich wie die Nacht, denn warum sollte es sonst kein Bild von ihr
geben – müsste doch noch am Leben sein, oder?«
»Fragen über Fragen, mein lieber Robert. Vorurteile über
Vorurteile. Warum glaubst du, dass sie hässlich sein sollte?«
»Journalisteninstinkt«, gab er selbstbewusst zurück.
»Möglicherweise«, sie macht eine Pause und sah ihn lange an,
» – aber ich kann es nicht beschwören – kann ich dir da etwas weiterhelfen«,
lächelte sie ihn an. Sie richtete sich auf, schloss den Reißverschluss ihres
Kleides bis zum Anschlag und ging zur Ablage, in der sie nach kurzem Kramen
eine in einen silbernen Metallrahmen gefasste Fotografie hervorholte.
»Aber das ist doch nicht …«
»Doch ist es«, lächelte sie. »Und ich hätte mir keine
besseren Eltern wünschen können.«
Zwischen Nancy und Karen war ein Mädchen zu sehen, sie
mochte zum Zeitpunkt der Aufnahme vielleicht neun oder zehn gewesen sein;
trotzdem gab es für Robert keinen Zweifel daran, dass er gerade im Begriff war,
diesen Abend mit eben diesem Mädchen zu verbringen, das nun als Erwachsene vor
ihm stand, und ihn aus denselben amüsierten Augen ansah, wie die Kleine auf der
Fotografie.
Epilog
Die Diskussion um die Frauen von Tsiolkovsky,
die mit Apollo 18 im gleichnamigen Krater gelandet sein sollen, zog sich
beinahe über vier Jahre hin. Beweise wurden gesucht, Indizien, Zeugenaussagen
in vierter Generation gehört, von Leuten vorgetragen, die sich an etwas
erinnern konnten oder auch nicht, die jemanden kannten, der jemanden kannte, der
jemanden gekannt haben könnte, der vielleicht noch etwas gehört oder gesehen
haben könnte. Eine Frau im Johnson Space Center womöglich, die für eine
Sekretärin zu hübsch, für eine Putzfrau zu intelligent und für eine
Teamleiterin zu zickig war. Doch leider, niemand konnte sich an eine derartige
Person erinnern, die doch all das besaß, was eine mutige, tollkühne Astronautin
Anfang der Siebzigerjahre ausgezeichnet hätte. Dann wurde von einem Gericht
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