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Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Titel: Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Muellner
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nicht. Sie beginnt ziemlich genau ein Jahr
vor Ihrer Geburt und …«
    »Bringen Sie mir bitte einen Tee, Earl Grey mit Milch«, rief
Robert der Kellnerin zu, als sie in ihrem kurzen Overall vorbeikam.
    »Für mich auch einen, aber bitte mit Zitrone«, setzte der
Alte hinzu. »Vom Erzählen krieg ich nämlich immer so ein Kratzen im Hals,
überhaupt in dieser Atmosphäre, wo die Luftfeuchtigkeit nicht nur unter dem
Minimalwert, sondern auch unter jeder Kritik liegt. – Also! Lehnen Sie sich
entspannt zurück, junger Freund, und achten Sie besonders auf die Details, die
Ihnen nicht so vertraut erscheinen.« Der Alte sah zum Fenster hinaus, als gelte
es dort draußen den roten Faden zu finden, der den Beginn seiner Geschichte darstellte,
und dem er nur zu folgen brauchte.
    Was Robert zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, war die
Tatsache, dass es sich genau so verhielt.
    »Meine Geschichte beginnt im Jahre 2065 auf der
erdabgewandten Seite des Mondes …«

3
    Mond,
erdabgewandte Seite, 2065
    Mit ihrer linken Hand stützte sie sich
an der Verkleidung ab, die das Fenster wie ein mittelalterlicher Wall
umschloss. Ihre Augen waren ebenso leer wie die Leere, in die sie starrten. In
verkrampftem Weiß strahlend, hoben sich ihre Fingerknöchel von dem alles
dominierenden Grau ab. Nur ihre blauen Augen gemeinsam mit ihrem blonden Haar
waren in der Lage, zumindest drei Farbtupfer in dieses monotone Stillleben zu
bringen. Andere hätten sie vermutlich gefragt, was sie hier wollte, an einem
Ort, so menschenfeindlich und öde, dass es unmöglich schien, in den Weiten des
Universums einen zweiten zu finden, der diesen an Ödheit noch übertraf. Doch
sie nicht. Stunden hätte sie am Fenster verbringen und hinausstarren können;
dorthin, wo nichts wuchs, wo kein Lufthauch über Berge und Ebenen strich, wo
nur Sand existierte, menschenfeindlich, kalt und grau. Es würde hier auch nie
etwas wachsen, nie ein Lufthauch über den Kraterrand oder die Caldera streichen,
denn hier herrschte – dominant und unumschränkt – der Staub. Doch ihr Job ließ
ihr keine Stunden, um Löcher in die luftleere Atmosphäre zu starren und ihre
Vorgesetzten hätten auch nicht den kleinsten Funken eines Verständnisses dafür
gehabt. Ihr Arbeitgeber hatte sie hierher geschickt, um das Projekt nach all
den Jahren der Planung, der Vorbereitung und des Aufbaus nun endlich
erfolgreich abzuschließen – und genau das würde sie auch tun. Ihre Gedanken
allerdings hatten sich bereits verselbstständigt und suchten zwischen dem
grauen Mondstaub und dem schwarzen Himmel die nächste Sprosse ihrer
Karriereleiter zu finden. Keineswegs war sie jedoch gewillt, auf den Aufzug zu
warten, der, natürlich bequem, doch keineswegs berechenbar, irgendwann vorbeikommen
musste, um sie weiter nach oben zu fahren. Sie wollte es aus eigener Kraft
schaffen. Aktiv wollte sie selbst empor klimmen, auch auf die Gefahr hin, dass
die Tritte zu weit auseinanderstanden, um sie problemlos überwinden zu können.
    Neu und unbewohnt war nach wie
vor der Geruch, der ihrem Heim selbst nach acht Monaten noch anhaftete, als wären
erst am Tag zuvor eine Lieferung neuer Möbel, ein neuer Teppich oder frische
Gardinen von der Erde eingetroffen. Doch hier gab es keine Teppiche, keine Gardinen
und keine Möbel – zumindest nicht im eigentlichen Sinn. Die Betten, Kästen, Regale
und Tische waren schon von vornherein als standardisierte Komponenten in die
einzelnen Module integriert worden. Für Sonderwünsche oder Ausgefallenes gab es
keinen Spielraum. Nur da und dort gab es etwas Raum, eine kleine Nische, ein
halbes Regal, wo man ein paar persönliche Dinge platzieren konnte. Es war schon
etwas Besonderes in ein neu errichtetes Heim einzuziehen, in dem noch niemand
zuvor gewohnt hatte. Wo das Glas noch keine Schrammen hatte, wo die Kanten noch
alle in ihrer ursprünglichen Form vorhanden und noch nicht abgeschlagen waren
und wo der Boden noch ohne jene ausgetretenen Spuren war, ohne diese Linien,
die wie überdimensionale Ameisenstraßen aussahen. Bei der letzten Lieferung
hatte sogar jemand einen kleinen Philodendron mitgeschickt, damit es im
Wohnbereich etwas wohnlicher wurde. Doch bislang hatte noch niemand eine Idee,
wie man die Pflanze an einen zweiwöchigen Tag-Nacht-Rhythmus gewöhnen könnte.
Die Temperatur in der Station lag bei angenehmen zweiundzwanzig Grad; hätten
nicht die Ventile, die die umgewälzte Luft verteilten, fröhlich motiviert vor
sich hingeklappert, hätte die Stille etwas

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