Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Titel: Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Muellner
Vom Netzwerk:
Beängstigendes gehabt. Shannon kroch
ein kalter Schauer ihre Arme hoch. In dem, wenn auch hellen Grau, das innerhalb
der Basis alles und jedes mit diesem tristen Schleier an Farblosigkeit überzog,
sah sie den Beweis für die sadistische Veranlagung des Architekten, dessen
Einfallslosigkeit nur noch durch seine mangelnde Empathie übertroffen wurde.
Grau. Reichte es nicht schon, dass die gesamte Mondoberfläche grau war. Warum
um alles in der Welt musste das Innere der Basis ebenfalls grau sein? Shannon sah
von der grauen Wüste innerhalb der Hülle hinaus in jene außerhalb, als wäre es
ihr möglich, irgendwo zwischen den einzelnen Staubkörnern die Beweggründe des
Architekten zu finden, die ihr so unverständlich erschienen.
    Den Becher mit dem mittlerweile nur noch lauen Kaffee in der
Hand, stand sie an einem von vier großen Fenstern in der Zentrale, von denen
sich die weitläufige Ebene des Tsiolkovsky-Kraters erschloss. Nach Süden
eröffnete sich ein weitläufiges Panorama des Kraterbodens, der von einem
zufällig ausgestreuten Muster kleinerer und größerer Krater überzogen war. Wie
gerne hätte sie den Kraterrand gesehen, doch bei den enormen Abmessungen von
hundertachtzig Kilometer im Durchmesser, lag dieser weit hinter dem sichtbaren
Horizont. Das nördliche Panorama mutete auf den ersten Blick etwas
spektakulärer an. Direkt hinter der Basis begann das Mittelgebirge anzusteigen.
Vermessungen zufolge stieg es erst sanft, ab einer Höhe von fünfhundert Metern
dann aggressiv und zielstrebig an, um in eine Höhe von knapp viertausend Metern
emporzuwachsen. Mit bloßem Auge waren aber weder die Höhen noch die
Entfernungen aufgrund der fehlenden Atmosphäre abzuschätzen. Auch mit viel Erfahrung
nicht.
    Wäre es technisch bereits möglich gewesen, eine Station in größerer
Höhe in den Berghang zu bauen, wäre die Aussicht noch um einiges
beeindruckender gewesen, doch der technische Aufwand für ein Vorhaben dieser
Größenordnung wäre in keinerlei Verhältnis zu dem daraus zu ziehenden Nutzen gestanden.
Schließlich ging es LunEx mit dem Bau der Station nicht darum, möglichst viele
Touristen auf die ›dunkle‹ Seite des Mondes zu locken.
    Seit mehreren Tagen harrte Shannon nun schon voller Ungeduld
der Lieferung des nächsten Moduls; die Arbeit daran sowie die Integration aller
technischen Installationen war termingerecht abgeschlossen worden. Selbst der
abschließende Integrationstest sämtlicher Komponenten war zur großen
Überraschung aller auf Anhieb erfolgreich verlaufen. Doch dann streikten die
Arbeiter im Pacifica-1F-Raumdock. Innerhalb der letzten zwei Jahre war dies nun
bereits das fünfte oder sechste Mal, und vermutlich würde es auch nicht das
letzte Mal gewesen sein. Erneut wollten die Arbeiter auf ihre unmenschlichen
Arbeitsbedingungen aufmerksam machen, auf das Risiko, unter dem sie ständig
versuchten, präzise und gewissenhafte Arbeit zu leisten und auf die gefährliche
Strahlung im Orbit, die von ihren Arbeitsplätzen und Unterkünften – wegen zu
drastischer Einsparungen beim Bau – nur unzulänglich abgehalten wurde. Shannon,
die jedem einzelnen der dort Arbeitenden gerne persönlich eine Standpauke
gehalten hätte, warum der Streik gerade für sie, gerade in diesem Moment
besonders ungünstig war, hoffte, dass sich die Aufregung bald legen würde und
der Normalbetrieb in spätestens ein paar Tagen wieder aufgenommen werden konnte.
    Unbeherrscht stieß sie mit ihrem rechten Fuß gegen die Kunststoffverkleidung,
die sich mit einem Knacken über die brutale Behandlung beschwerte. Wie zum
Trotz wollte auch die Delle, die vorher noch nicht vorhanden gewesen war, nicht
mehr verschwinden. Weder konnte sie die Arbeiter im Raumdock noch deren
Einstellung zur Arbeit leiden. Grobiane ohne Bildung und Benehmen. Arbeiteten
nur um Geld zu verdienen, um ihre Familien zu ernähren, ihre Kinder auf eine
Schule für zumindest durchschnittlich Begabte schicken zu können. Sie kannte
keinen, der auch nur einen Funken Ehrgeiz oder intrinsische Motivation besessen
hätte. Persönlich hatte sie zwar noch nicht das ›Privileg‹ genossen mit einem dieser
Grobiane, die ausschließlich von Krethi und Plethi abzustammen schienen, zu
sprechen, doch allein deren Anblick, wenn sie beieinander standen, scherzten
und lachten und nicht näher definierbare Getränke – vermutlich alkoholischen
Inhalts – aus blickdichten, neutralen Flaschen tranken, um sich dann gemächlich
wieder ihrer Arbeit zuzuwenden,

Weitere Kostenlose Bücher