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DIE FRAUEN DER DIKTATOREN

DIE FRAUEN DER DIKTATOREN

Titel: DIE FRAUEN DER DIKTATOREN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Ducret
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Fuß geheilt?
    Ist die Winterkleidung vorbereitet?
    Keine Briefe erreichen mich.
    Ich frage, aber niemand antwortet.
    Ich wünschte, ich hätte Flügel,
    Und könnte fliegen und diesen Mann sehen.
    Weil ich ihn nicht sehen kann,
    Nimmt der Kummer kein Ende. [7]
     
    Kaihui fühlt sich vernachlässigt um eines Kampfes willen, den Mao schon seit seinen Jugendjahren führte, eines Kampfes, für den sie ihre feministischen Bestrebungen preisgegeben hat. Die Kinder laugen sie aus: „Wer kümmert sich um dich, wenn du allein schläfst? Bist du so einsam und traurig wie ich?“, schreibt sie ihm. Doch Mao schläft in seinem Exil keineswegs allein.
    Er ist zwar mit Kaihui die Ehe eingegangen, doch seine Ansichten darüber haben sich keineswegs gewandelt. Für ihn ist die Ehe eine bürgerliche, von Zwang bestimmte Konvention. Zu jener Zeit sieht er „die große Welle der freien Liebe und der Freiheit von der Ehe über China hinwegfegen“.
    Die jahrhundertelang von der konfuzianischen Moral geprägten Chinesen davon zu überzeugen, dass mit der kommunistischen Revolution auch die freie Liebe einhergeht, gestaltet sich schwierig. Die Mehrheit der Chinesen hat vielleicht durch eine Abschaffung des Privateigentums ökonomisch nicht viel zu verlieren, doch keiner will seine Frau in Gemeinbesitz überführt sehen. Doch die Neugestaltung der Beziehungen zwischen Mann und Frau ist ein grundlegender Baustein der neuen Gesellschaft, die Mao schaffen will. In gewissem Sinne ist die Reform der Ehe, die ihm vorschwebt und die allen die Freiheit gibt, nach eigenem Gutdünken zu lieben oder nicht zu lieben, ja die sogar den Frauen das Recht auf Scheidung einräumt, ein noch revolutionäreres Experiment als die Agrarreform.
    Außerdem läuft nicht alles nach Plan: Die Frauen nehmen den Aufruf zur „Freiheit“ ein wenig zu wörtlich. „Die Liebesbeziehungen zwischen ihnen und ihren jugendlichen Freunden nahmen zu. Die Paare fanden sich frei in den Hügeln zusammen.“ [8] Das ist keine Welle mehr, das ist eine wahre Sintflut. Und Mao schwimmt fleißig mit. Hinter dem Rücken seiner Frau hat er 1928 eine junge Genossin geheiratet, die ihm auf seinem Weg begegnet war. Kaihui kann es nicht fassen. Um ihre Würde und ihr seelisches Gleichgewicht zu wahren, tut sie so, als sei nichts passiert. Sie gehört nicht zu diesen modernen Frauen, die sich gleich scheiden lassen. Sie hofft immer noch, dass ihr Mann eines Tages zurückkommt, wie Penelope, die jahrzehntelang an ihrem Teppich webt. In Wirklichkeit aber erschüttert sie die Neuigkeit zutiefst. „Du musst hier bleiben, schon um deiner Sicherheit willen“, hatte er ihr gesagt. Wie konnte er sie nur so belügen?
    Changsha wird zu jener Zeit von Ho Chien regiert, einem nationalistischen General mit streng antikommunistischer Einstellung. Doch Kaihui war bis dato unbehelligt geblieben. Schließlich ist sie keine aktive Widerstandskämpferin und scheint an der Agitation ihres Mannes keinerlei Anteil zu haben. Angesichts ihrer Lage, die ja jeder kennt, begegnet man ihr ohnehin eher mit Mitleid als mit Argwohn. Doch dann kehrt Mao Ende 1930 nach Changsha zurück. Aber es ist weder die Liebe, die ihn treibt, noch die Sehnsucht nach seinem Heim, sondern der bewaffnete Kampf. Er greift die Stadt an und belagert sie regelrecht. An diesem Punkt hat auch die Großmut des Generals ein Ende. Kaihui und Anying, ihr ältester Sohn, werden an dessen achtem Geburtstag verhaftet. Man schlägt ihr einen Deal vor: Sie kommt frei, wenn sie sich öffentlich von den Aktivitäten ihres Mannes distanziert. Und sie muss sich auf der Stelle scheiden lassen. Kaihui aber hat sich noch nie vorschreiben lassen, was sie tun soll. Diese Erpressung ist ihrer GROSSEN LIEBE nicht würdig, auch wenn letztere nur noch in ihren Träumen existiert. Sie weigert sich, von Mao abzurücken.
    Man führt sie in den improvisierten „Gerichtssaal“ im Quartier des Generals. Sie trägt eine lange, dunkelblaue Robe, die ihr etwas Königliches gibt. Auf ihrem Gesicht nicht das geringste Anzeichen von Angst. Auf dem Schreibtisch liegen ein Pinsel und ein Stück Papier, auf dem ihr Name steht. Der Richter stellt ihr ein paar Fragen. Dann malt er ein rotes Zeichen auf das Papier. Er hat soeben ihr Todesurteil unterzeichnet.
    Am Morgen des 14. November 1930 ist der Himmel wolkenverhangen. Zwei Monate nach Maos Angriff auf Changsha wird die geduldige, die getreue Kaihui zum Richtplatz vor dem Liuyang-Tor geführt.
    Auf dem Weg dorthin

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