DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
sodass er hinfällt. Tatsächlich müssen drei Leibwachen her, um die Furie zu bändigen und hinauszuschaffen. Mao folgt ihnen mit gesenktem Kopf.
Es ist nun zehn Jahre her, dass Mao Kaihui für He Zizhen verlassen hat. Die Leidenschaft der ersten Jahre ist längst verflogen. Zu dem hässlichen Streit kam es in der Wohnung Agnes Smedleys, einer Journalistin. Agnes hat ein amerikanisches Journalistenpaar zum Abendessen eingeladen, Edgar Snow und seine Frau Helen [10] . Eine junge Schauspielerin namens Lily Wu begleitet die beiden. Mao lädt sich selbst ein. Man fängt an, Karten zu spielen und bleibt bis spät in die Nacht zusammen. He Zizhen ist ihm gefolgt. Die beiden wohnen ja nur etwa 1500 Meter entfernt. Die Szene, die sich ihr bietet, als sie in die Wohnung eindringt, versetzt sie in Rage. Lily Wu sitzt neben Mao auf der Bank und hat ihre Hand auf sein Knie gelegt. Sie sagt, sie habe zu viel Wein getrunken und sei in koketter Stimmung gewesen. In ihrem Tagebuch schildert Helen den weiteren Verlauf des Abends: „Mao erschien erstaunt […] und offensichtlich amüsiert. Auch er meinte, er habe zu viel Wein getrunken.“ [11] Dann ergreift Lily Maos Hand. Die Atmosphäre im Raum wird mit einem Mal spannungsgeladen. „Agnes hob bewundernd den Blick zu ihm und sah ihn aus ihren großen blauen Augen an, die gelegentlich fanatisch leuchten konnten. Auch Lily Wu sah ihn mit einem Ausdruck der Verehrung an, den man sonst nur Helden zuteilwerden lässt …“. [12]
Lily Wu ist eine Schauspielerin von sechsundzwanzig Jahren und geschieden. Obwohl die kommunistische Mode den Frauen kurze Haare vorschreibt, fällt ihre ungebändigte Mähne bis auf die Schultern herab und zieht allenthalben die Blicke auf sich. Die junge Dame hat ihr Auftreten sorgfältig geübt: Sie spricht mit sinnlichem Unterton und bewegt sich mit wohleinstudierter Grazie. Helen Snow nennt sie eine „Sarah Bernhardt von eigenen Gnaden“. Ihr Aufstieg zum Starlet ging entsprechend schnell vonstatten. Ihre Garderobe und ihr exzentrisches Gehabe ziehen in dieser etwas rückständigen Gegend alle Blicke auf sich. Vor allem Mao ist von ihr hingerissen. Zizhen ist solide und ihm treu ergeben, doch die ätherische Lily Wu erregt ihn auf ganz andere Weise. Bei ihr findet er jene poetische Inspiration wieder, die ihm einst Yang Kaihui schenkte. Bei ihren langen Gesprächen rezitiert Mao Gedichte, die er nur für sie geschrieben haben will. In Wirklichkeit allerdings textet er nur jene um, die er für seine verstorbene Gattin verfasst hat.
He Zizhen kommt 1909 zur Welt. Sie ist Tochter eines kommunistischen Widerstandskämpfers und Intellektuellen aus dem reichen Bezirk Yongxin am Fuß jener Berge, in die Mao sich mehr als einmal zurückziehen muss. Ihre Mutter stammt aus Kanton. Von ihr hat sie die feinen Züge, die von Zeit zu Zeit ein zartes Lächeln erhellt. Mao heiratet die junge Frau, die von ihrem Vater das freizügige, ja freche Temperament geerbt hat, als sie gerade achtzehn Jahre alt ist. Was ihn an ihr anzieht, ist weit mehr als der Porzellanteint und die grazile Gestalt. Zizhen ist eine Revolutionärin wie er: Sie lehnt die traditionell zurückgezogene Lebensweise der Frauen aus guter Familie ab. Sie will eine andere Welt kennenlernen, eine Welt voller Leben und Vergnügungen. Sie besuchte eine finnische Missionsschule und rebellierte aufs Heftigste gegen die Regeln der Wohlerzogenheit, die man ihr dort zu vermitteln suchte. Die politische Entwicklung sollte ihren Wunsch nach einem bedeutungsvollen Leben wahr machen: Im Sommer 1926 dringen die kommunistischen Truppen auf ihrem Nordfeldzug in ihre Stadt ein, und Zizhen tritt der Kommunistischen Partei bei. Bald nimmt die junge Sympathisantin Guerillakämpfer bei sich auf und hält in der Öffentlichkeit Reden. Ihre geistige Reife und ihr jugendlicher Elan lassen die Siebzehnjährige recht schnell die Karriereleiter innerhalb der Partei erklimmen. Im selben Jahr wird sie zur Vorsitzenden des Frauendienstes in der neuen Lokalregierung ernannt. Zizhen hat sich mittlerweile zur Intellektuellen gemausert. Ihre Emanzipation macht sie durch eine symbolische Geste deutlich: Sie schneidet ihr langes Haar ab. Nun ist auch sie Genossin.
Als Mao in der Stadt eintrifft, wird sie von Yuan Wencai, der die Truppen führt und die Verteidigung der Stadt organisiert, zur Dolmetscherin ernannt, da Mao den lokalen Dialekt nur unzureichend beherrscht. Kaum angekommen, versucht er schon, das junge Mädchen für sich zu
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