DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
Politik erhoben hat. Er wendet sich nicht an das Volk, sondern an die Menge. Und dabei muss er sich ebenso selbstsicher und willensstark zeigen, als habe er es mit einer Frau zu tun. „Die Masse ist – wie die Frau – dazu geschaffen, mit Gewalt genommen zu werden“, schreibt er.
Und so entwickelt er eine omnipräsente Sexualität, die etwas Bulimisches hat. Zu Beginn kann er – in der Liebe wie in der Politik – diesen Wunsch, den anderen zu besitzen, nicht steuern. Seine erste amouröse Niederlage erlebt er zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit einem Mädchen namens Vittorina, der Schwester eines Schulkameraden. Er schickte ihr jugendlich verliebte Briefe und Veilchensträuße. Doch die Welle der Leidenschaft bricht sich an den Klippen der Wirklichkeit, als er die Feuertaufe wagt. Er wartet am Tor ihrer Arbeitsstelle auf Vittorina. Als sie kommt, bringt er kein Wort heraus, nicht einmal ein winziges Kompliment. Geschlagen und beschämt muss er abziehen. An diesem Tag beschließt er, dass keine Frau ihm je wieder eine so schmachvolle Niederlage zufügen soll.
Seine neue, wenn auch noch verbesserungsbedürftige Verführungstechnik erprobt er an der unglücklichen Virginia B. Wir schreiben das Jahr 1901. Mussolini lebt in seinem Heimatdörfchen Dovia. Er ist siebzehn Jahre alt. Er begegnet seiner jungen Nachbarin, die ihn außerordentlich reizt. Die Festung scheint ihm keineswegs uneinnehmbar. Eines Tages, als das Dorf verlassen daliegt, wagt er einen Versuch. Den Ausgang berichtet er selbst: „Ich nahm sie auf der Treppe. Ich warf sie in eine Ecke, hinter einer Tür, und bemächtigte mich ihrer. Sie erhob sich jammernd und gedemütigt und schrie mich unter Tränen an. Sie sagte, ich habe ihr ihre Ehre geraubt. Ich leugne das nicht. Aber was soll das für eine Ehre sein?“ [7]
Man muss wissen, dass die erste Begegnung, die aus Mussolini einen Mann machte, ihn nicht in die Andersartigkeit des weiblichen Begehrens einweihte. Er verlor seine Unschuld gegen Bezahlung. Es war ein Jahr zuvor in Forli passiert, im Hurenviertel, wohin ihn Benedetto Celli, einer seiner Freunde, mitgenommen hatte. Der Kamerad führte ihn in eines der „unaussprechlichen“ Häuser, wo der Tarif bei 50 Lire lag. Was er als Gegenleistung dafür erhielt, war der kurzzeitige Besitz des Körpers einer nicht mehr ganz jungen Frau: „Sie hatte mich auf ihre Knie genommen und begann, mich durch Küsse und Zärtlichkeiten zu erregen. Sie war grauhaarig, und das Fett wabbelte überall an ihr.“ Benito verlässt das Haus mit gesenktem Kopf. Er schwankt, als hätte er getrunken. „Ich hatte das Gefühl, ein Verbrechen begangen zu haben“, erinnert er sich später. Dies war seine erste sexuelle Eroberung, auch wenn sie wenig triumphal ausfiel.
Ein Straßencasanova
Mittlerweile ist Benito achtzehn Jahre alt und will nur eines: weg von zu Hause. Geboren als Sohn eines Schmiedes am 29. Juli 1883 in Dovia-Predappio, im Herzen der sozialistischen Emilia Romagna. Als jugendlicher Dorfgockel verkehrt Benito fleißig in den Cafés und den Ballsälen des Ortes, wo er seine ersten Annäherungen an das schwache Geschlecht wagt. Als er die Oberschule abgeschlossen hat, schlägt er dieselbe Laufbahn ein wie seine Mutter, die ein paar Jahre zuvor verstorben ist: Er wird Lehrer. Im Februar 1902 tritt er seine erste Anstellung in einem nahe gelegenen Dorf an. Er hat zu dieser Zeit etwas Düsteres an sich, kleidet sich vorzugsweise schwarz und legt seinen breitkrempigen Hut und sein großes Cape so gut wie nie ab. Bald bemerkt er, dass diese strenge Erscheinung ihre Wirkung – vor allem auf Frauen – nicht verfehlt.
Zu dieser Zeit betrinkt er sich regelmäßig. Dies hat mitunter groteske Folgen. So geht er einmal mit den anderen Sozialisten aus dem Dorf einen heben. Am Morgen findet man die ganze Bande vor der Kirche liegend, wo sie den Rausch ausschlafen, den sie sich nächtens mit so viel Mühe angetrunken haben. Auch seine jugendliche Leidenschaft für das Boxen lebt Benito aus. Auf den Tanzveranstaltungen am Wochenende gilt er als gefürchteter Stänkerer und Raufbold. Er geht ja auch nie ohne Schlagring aus.
Das Benehmen des jungen Lehrers empört die Dörfler: Bei einem Ball fällt ihm Giulia F. auf, eine hübsche Zwanzigjährige, deren Mann seinen Militärdienst in einem anderen Teil Italiens ableistet. Mussolini macht sich daran, sie zu verführen. Sie würden, wie er später schreibt, „sympathisieren“. Das Pärchen schreibt sich gegenseitig.
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