DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
nationale Bühne betrifft, etwa an sich selbst? Jedenfalls stellt er eine Bedingung, bevor er den Posten als Herausgeber annimmt: Angelica soll seine Chefredakteurin werden. Er braucht die Unterstützung und den Zuspruch seiner Lehrerin. Die Frau, die ihn in Lausanne bei seinen ersten journalistischen Gehversuchen unterstützte, die seine Lektüre überwachte und sein Denken formte, kommt zu ihm nach Mailand. Gemeinsam leiten sie nun die meistgelesene sozialistische Zeitung Italiens.
Und Mussolini schwingt sich auf diesen Seiten zum Propagandisten des Sozialismus auf. Er klagt an! Benito lässt keine Gelegenheit ungenutzt, die Verbrechen der Mächtigen zu brandmarken. Das Credo der radikalen Faschisten klingt schon in jenen Artikeln an: die verballhornten Ideen eines Nietzsche oder Bergson, vermengt mit einem gnadenlosen Sozialdarwinismus und stets endend in einer Verurteilung des „weibischen Herdenmenschen“.
Als Journalist findet Mussolini vergleichsweise schnell Anerkennung. Als Redner aber hat er zunächst nur geringen Erfolg. Als er 1910 auf einem Parteikongress in Mailand spricht, wird er ganz offen ausgelacht. Seine Stimme sei die eines weiblichen Baritons. Dort, auf dem Rednerpodium, ist er auf sich allein gestellt. Angelica ist nicht da, um seine Energie in die richtigen Kanäle zu lenken.
Als er ans Pult tritt, spricht er in abgehackten Sätzen. Er trägt seine Krawatte falsch herum, ein Dreitagesbart bedeckt seine bleichen Wangen, und auch seine Glatze trägt nicht gerade zu seiner Glaubwürdigkeit bei. Er vermittelt den Eindruck einer Vogelscheuche, die sich aufmacht, um für die soziale Gerechtigkeit einzutreten. „Aber das ist ja ein Irrer!“, zischt es aus dem Publikum.
Die Männer sehen in ihm den Besessenen, den Kahlen, den Herumtreiber. Die Frauen allerdings haben einen anderen Blick auf Mussolini. Ihnen gefällt seine rebellische, provokante Art. Wie er der Menge seine Anklagen entgegenschleudert, wie er sich als unnachgiebiger Rächer präsentiert, das wirkt auf die Amazonen des noch jungen 20. Jahrhunderts ungeheuer anziehend. In Mailand beispielsweise sitzen zwei Frauen in Hosen unter seinen Zuhörern, was einen erheblichen Skandal auslöst.
Der Zauber des Orients
Im März 1913 verfällt Leda Rafanelli, eine mehr als ungewöhnliche Persönlichkeit, dem Charme Mussolinis. Sie schreibt einen Artikel, in dem sie ihn als „heroischen Sozialisten bezeichnet, der … noch fühlt, noch glaubt, und dies voll männlichen, kraftvollen Elans.“ Ihre Schlussfolgerung fällt ebenso „objektiv“ aus: „Das ist ein Mann!“
Mussolini bedankt sich schriftlich, was ihm eine Einladung einträgt. Er sagt zu unter der Bedingung, dass das Treffen geheim bleibt. Bei dieser Frau, von der er noch so gar nichts weiß, erscheint er in elegantem Aufzug: Gehrock, Halbstiefel, Melone. Seine Gastgeberin, eine sinnliche Frau „von provokantem Äußeren mit vollen Lippen und ansprechenden Formen“, ist eine bizarre Erscheinung im Italien der Vorkriegszeit. Sie ist zum Islam übergetreten, lebt und kleidet sich orientalisierend: angetan mit Turban, zahllosen silbernen Armbändern und -spangen und schweren Ohrringen, das Haus ausschließlich ägyptisch ausgestattet. Als Mussolini es betritt, schlagen ihm dichte Weihrauchwolken entgegen. Auf einem Kohlebecken in der Mitte des Salons brodelt türkischer Kaffee. Benito wird übel. Er findet nicht die richtigen Worte und muss sich verabschieden, noch bevor er sich der Dame irgendwie nähern kann.
Einige Tage später entschuldigt er sich brieflich, verweist auf seine Schüchternheit und seine „extreme Empfindlichkeit gegenüber orientalischen Gerüchen“. Möglicherweise stieg an jenem Tag auch die Erinnerung an seine Kindheit wieder auf, wo er bei der sonntäglichen Messe regelmäßig fast in Ohnmacht fiel, weil er den Weihrauch nicht vertrug. Doch er findet nichtsdestotrotz die richtigen Worte: „Ich habe drei wunderbare Stunden verlebt. Wir beide lieben die Einsamkeit. Sie suchen diese in Afrika, ich in der gesichtslosen Menge einer Großstadt. Doch unser Ziel ist dasselbe. Wenn ich etwas Ruhe brauchen sollte, werde ich zu Ihnen kommen, und wir können gemeinsam Nietzsche und den Koran lesen.“
Die junge Frau nimmt seine Entschuldigung an und ist ihm wegen seiner Schwäche nicht böse. Es kommt zu weiteren trauten Tête-à-Têtes, ohne dass es Mussolini je gelänge, die Festung zu nehmen, hinter der seine Beute sich verschanzt hat. Dabei würde er sie zu
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