DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
Nichtsdestotrotz gibt es einen augenfälligen Beweis: Madame Mao leidet an Durchfall. Nachdem sie den Koch befragt hat, befiehlt sie dem Sicherheitschef, das Kindermädchen festzunehmen und zu verhören. Der nicht aufgeklärte Milch-Skandal hat ernste Konsequenzen zur Folge. Noch am selben Abend wird das Mädchen in das Gefängnis im Dattel-Garten gesteckt. Die dort internierten Mädchen müssen den lieben langen Tag spinnen, ohne auch nur einmal den Kopf vom Spinnrad heben zu dürfen. Am Abend wird die Menge gesponnenen Garns nämlich überprüft – bevor man die Delinquentinnen zum Verhör holt. Abend für Abend wird das Kindermädchen wüst beschimpft: „Warum gestehst du nicht, damit endlich Schluss ist, du verdammte, Scheiße produzierende Maschine?“ [22] Nach neun Monaten wird das Mädchen schließlich entlassen.
1943 ist Mao immer noch nicht, was er gerne sein möchte: unangefochtener Führer des kommunistischen China. Der Lange Marsch hat ihn noch nicht von der Kuomintang und Chiang Kai-shek befreit. Der Krieg mit Japan, der seit sechs Jahren andauert, bedeutet für seine persönlichen Ambitionen zunächst einmal das Abstellgleis. Wie aber nutzt Jiang Qing ihre Zeit?
Ihre Karriere als Schauspielerin musste sie natürlich aufgeben. Man versucht ganz im Gegenteil, die Spuren ihres früheren Lebens auszulöschen, damit sie künftig ganz in der Rolle der getreuen Ehefrau des Großen Vorsitzenden aufgehen kann. Alle Kopien der Filme, in denen sie mitspielt, alle Theaterprogramme, jede Zeitungskritik ihrer Vorstellungen werden gesammelt und verbrannt.
Doch eine Rolle als schmückendes Beiwerk an der Seite ihres Gatten kommt für Jiang Qing ebenso wenig infrage.
Sie will mit ihrem Mann in der Politik tätig sein.
Leidet sie unter Depressionen? Mehren sich ihre hysterischen Ausbrüche und ihre Anfälle von Verfolgungswahn? Ende der Vierzigerjahre jedenfalls ist Jiang Qing auf der politischen Bühne nicht präsent. Offiziell schickt Mao sie in die Sowjetunion, wo sie ihre „Krebserkrankung“ auskurieren soll. Ist das Motiv vielleicht eher, dass man Jiang Qing in der Geburtsstunde der Volksrepublik in möglichst großer Entfernung wissen will?
Denn am 1. Oktober 1949 ruft Mao die Volksrepublik China aus. Kaum ist ihr Mann an der Macht, bekommt Jiang Qing den Posten im Zentralkomitee für die Filmindustrie. Mao aber verfolgt andere Ambitionen: Die chinesische Schwerindustrie soll in fünfzehn Jahren den Vorsprung Großbritanniens in der Stahlproduktion aufholen. Das ist sein politisches Programm, der „Große Sprung nach vorn“, den er 1958 einleitet. Es werden unmenschliche Anstrengungen unternommen, doch diese führen dennoch nicht zum gewünschten Ziel. Die chinesischen Bauern haben von der Stahlproduktion keine Ahnung. Sie produzieren Ausschuss, während das Getreide auf den Feldern verfault. Der „Große Sprung nach vorn“ ist gefolgt vom wirtschaftlichen Absturz. Mao und Jiang verlieren ihren Einfluss. Dem Langen Marsch folgt der taktische Rückzug.
Im folgenden Jahr wird Liu Shaoqi Staatsoberhaupt, seine Ernennung empört Mao zutiefst. Jiang nimmt ihren erzwungenen Rücktritt sehr persönlich. Ihr ganzer Hass konzentriert sich auf Wang Guangmei, die Gattin des neuen Führers des kommunistischen China. Guangmei ist eben jene Erste Dame im Staat, die Jiang Qing immer sein wollte. Doch Rache schmeckt am besten, wenn sie kalt genossen wird. Und so schmiedet Jiang Qing hinter den Kulissen eifrig ihre Ränke, denn die Kunst der Intrige beherrscht sie perfekt. In dieser Hinsicht ist sie ihren Feinden durchaus ebenbürtig. Jetzt ist der Moment gekommen, da der angeschlagene Mao sie zum ersten Mal braucht. „Sie behandeln mich wie einen verstorbenen Ahnen“, beschwert er sich bei ihr.
Jiang schart um sich einige Getreue und neu gewonnene Anhänger der kommunistischen Sache. Mao schwört sie auf ein vollständig neues Programm ein, um Lius wachsender Macht etwas entgegenzusetzen. Die Mitglieder des „neuen Hofes“ leisten Kärrnerarbeit. Fleißig wetzen sie die Feder, um ihre frohe Botschaft zu verbreiten. Die neue Situation ist ganz nach dem Geschmack Jiang Qings, bietet sie ihr doch ein breites Feld an Möglichkeiten, Liu und seine Frau aus dem Sattel zu stoßen und sich selbst an die Spitze aufzuschwingen.
Die Jahre, die sie gezwungenermaßen im Schatten Maos verbringt, lehren Jiang Qing vor allem eines: Geduld und strategisches Handeln. Geschickt platziert sie ihre Bauern. Ihr nächster Schritt
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