DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
sofort in Mussolinis Büro. Sie klopft und betritt ohne abzuwarten den Raum. Mussolini ist in die Korrektur der Fahnen vertieft. Er hebt die Augen und sein Blick fällt auf die schöne Unbekannte. Sofort steht er auf, um ihr einen Stuhl anzubieten. Sie will, dass er ihr eine regelmäßige Mitarbeit in einer Art Kulturteil zusichert. Doch nimmt das Gespräch in gewisser Weise einen günstigeren Verlauf, als die pelzverbrämte Venezianerin zu hoffen wagte. Zunächst hält sie ihm einen kleinen Vortrag, um ihm auseinanderzusetzen, weshalb eine Zeitung, die sich dem politischen Kampf verschrieben hat, Artikel über Kunst brauche: „Kunst ist heute die Sprache der Moderne und eignet sich schon deshalb zum Träger politischer Aktion …“ Mussolini ist kein Dummkopf. Er unterbricht sein Gegenüber auf der Stelle: „Die Kunst ist kein sozialistisches Thema. Und was die politischen Artikel in der Zeitung angeht, die ich leite, so schreibe ich diese selbst.“
Schon nach seinen ersten Worten hat Margherita dem Mann nichts mehr entgegenzusetzen. Sie wagt den Vergleich mit La Voce , einem anderen sozialistischen Blatt, das einen breit gefächerten Kulturteil hat. Doch auch hier dringt sie nicht durch. „Ich lese nur Artikel über Politik und Philosophie“, lautet Mussolinis Antwort. Margherita ist fassungslos. Sie lässt sich von ihrem Gesprächspartner in eine Diskussion über die großen Denker verwickeln, die Benito geprägt haben: Georges Sorel und Friedrich Nietzsche. Dann sieht er dieser Dame von Welt, die einfach so in sein Büro eingedrungen ist, tief in die Augen und spricht den Satz, der auf sie wie ein lang ersehnter Zauberspruch wirkt: „Ich bin ein Mann auf der Suche.“
Das Gespräch bewegt sich bald in anderen Bahnen. Man redet über die Rolle der Frau und wie der Mann von ihr profitiert. Margherita findet kaum Worte, um die unglaubliche Intensität zwischen den beiden zu beschreiben. Jedes Wort fällt wie ein Stein in den tiefen Teich ihrer Seele, der nachbebt und Wellen schlägt. Auch sie lässt sich von den großen, goldenen Augen beeindrucken, die so lebhaft hin und her wandern, von seinem energiegeladenen Wesen. Dann gleitet ihr Blick zu seinen „eigenwilligen Lippen, über denen ein Hauch von Grausamkeit schwebt, während sie von Nietzsche sprechen“.
In ihren Sätzen bricht sich eine erotische Spannung Bahn, die von der ersten Minute an zwischen den beiden herrschte. Margherita, die es gewöhnt ist, das letzte Wort zu haben, beendet das Gespräch mit einem rätselhaften Bonmot: „Das Schamgefühl schöner Frauen wird vom Bewusstsein ihrer Schönheit noch gestärkt.“ Er schlägt ihr vor, einige Artikel zu schreiben. „Natürlich ohne Bezahlung“, beeilt er sich hinzuzufügen. „Ich schreibe nur gegen Bezahlung. Ich will dreißig Lire pro Artikel“ [12] , antwortet sie ihm, ohne mit der Wimper zu zucken.
Einige Tage nach ihrer ersten Begegnung in den Redaktionsräumen des Avanti! besucht Margherita ein Konzert. Plötzlich spürt sie etwas im Raum. Sie hat das Gefühl, jemand ziehe sie mit Blicken aus: „Ein Blick aus zwei großen, brennenden Augen durchbohrte mich fühlbar, noch ehe ich merkte, dass es Mussolini war.“ Die Leidenschaft für Benito hat sie erfasst und wird sie Tag für Tag ein bisschen mehr verzehren. Bald sind die beiden Kampfgenossen liiert. Damit aber nimmt eine außergewöhnliche intellektuelle Beziehung ihren Anfang. Bei ihren endlos langen Rendezvous korrigiert Margherita seine Artikel. Sie will seinen Stil verfeinern ebenso wie seine Rhetorik und seine Bildung. Die Venezianerin muss sich nicht mehr mit dem Kulturteil begnügen. Sie führt mit ihm zusammen die Zeitschrift, beaufsichtigt die Redakteure und überprüft die ideologische Textur der Beiträge.
Jeden Tag ist sie um ihn und arbeitet sozusagen an der „Erstfassung“ der faschistischen Theorie. Ihre intimen Beziehungen allerdings sind eher sporadisch. Margherita ist häufig lange Zeit im Ausland, wo sie den Kontakt mit ihren mondänen Bekannten pflegt.
In Paris lebt sie in der Avenue Kléber in einem der schicksten Viertel von Paris und empfängt die Intellektuellen ihrer Zeit wie Duchamp, Léger und Delaunay. Die Pariser Boheme bringt ausschweifende Feste hervor und Moden, die provozieren wollen. Bei ihren Aufführungen im Théâtre des Champs-Elysées mischen sich Tanz, Malerei, Musik, Gesang, Poesie und Kino zu einem aufregenden Gesamtkunstwerk. Sie geht mit der Schriftstellerin und Tänzerin
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