DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
gerne besitzen. Er scheut keinerlei Mühe und kauft sogar ein komplettes Beduinenkostüm. Mit Burnus, Fez und Bernsteinhalskette will er ihr gefallen. Natürlich verschweigt er ihr, dass er verheiratet ist, und spielt den Don Juan mit steinernem Herzen, stets auf der Suche nach der vollkommenen Frau: „Jeder Mann, der in sich die Kraft verspürt, ein Leben jenseits der Grenzen des Gewöhnlichen zu führen, braucht eine Muse, eine Trösterin, verstehen Sie?“ Der Rattenfänger weiß dem weiblichen Ego zu schmeicheln. Eine Muse suche er, nicht eine bloße Geliebte. „Ich möchte, dass sie mich bis in die tiefsten Tiefen meiner Seele begreift. Ich möchte mich ihr ganz anvertrauen können, möchte, dass sie mich stimuliert, ausschimpft, berät, auch wenn ich Fehler mache. Verstehen Sie?“
Doch Leda geht ihm nicht auf den Leim. Sie sieht sich nicht in der Rolle der Muse. Sein Vorstoß läuft ins Leere. Aber Mussolini feuert eine neue Breitseite. Er sei ja frei wie ein Vogel. „Außerdem“, schreibt er im Ton tiefster Vertraulichkeit, „sind zwei Frauen heftig in mich verliebt.“ Er jedoch liebe sie nicht. „Die eine ist ziemlich hässlich, aber sie hat eine großzügige, edle Seele. Die andere ist schön, hat aber ein verschlagenes Naturell. Sie ist regelrecht geizig. Aber das ist kein Wunder, sie ist Jüdin.“
Die erste Frau ist natürlich die treue Angelica. Die zweite ist die Kulturberichterstatterin des Avanti! . Er lernte sie kennen, als sie ihren Posten bei der Zeitschrift antrat. Ihre Schönheit und ihre Intelligenz machten sie schon bald unentbehrlich.
„Die schöne Geizige, die so durchtrieben ist wie die Erstere ehrlich, ist die Schriftstellerin Margherita Sarfatti.“
„Die Frau des Anwalts?“
„Ja. Sie verfolgt mich geradezu mit ihrer Liebe, aber diese Frau könnte ich niemals lieben. Ihre Kleinlichkeit stößt mich ab. Sie ist reich und lebt in einem großen Palazzo am Corso Venezia.“
„Dann sehen Sie in ihr also nicht die Muse, die Sie sich so sehr wünschen?“
„Nein, sie kann keinen Platz in meinem Leben einnehmen.“
Und mit diesen Worten verschwindet die weihrauchumwölkte, rebellische Leda von der Bildfläche. Das also ist Benitos Liebesleben 1913 – in seinen eigenen Worten. Die Wahrheit aber ist, wie wir bereits ahnten, eine andere. Doch wer ist die Frau, die angeblich so verliebt ist in Mussolini, die Frau des Anwalts?
Die schöne Venezianerin
Um diese Frage zu klären, müssen wir die Zeit ein wenig zurückdrehen: ins Jahr 1905. Ort der Handlung: Venedig. Die russische Intellektuelle Angelica Balabanoff wird eingeladen, einen Vortrag über die Armut des russischen Volkes zu halten. Darüber wird in den europäischen Salons viel diskutiert, seit im selben Jahr der erste Anlauf der Russischen Revolution scheiterte. Eine junge Venezianerin von fünfundzwanzig Jahren betritt mehr aus Neugierde auf die Sprecherin denn aus wirklichem Interesse den Vortragssaal. Margherita weiß, dass die Balabanoff zu den frühen Feministinnen gehört. „Und ich sah diese Frau, diese Fehlleistung des Himmels, deren Antlitz aus kyrillischen Zeichen zu bestehen schien, sich durch das Wirken von Geist und Wort verwandeln.“ [10] Margherita fühlt sich aufgesogen von diesen großen, feuchten Augen, die ihr mageres, graues Gesicht verschlingen.
Dies war die erste Begegnung jener beiden Frauen, die aus dem unbeholfenen Lehrer aus der Emilia Romagna einen entschlossenen politischen Führer formen sollten. Margherita ist fasziniert von der Selbstsicherheit und Überzeugungskraft, die Angelica ausstrahlt, doch ihr vernachlässigtes Äußeres ist ihr ein Ärgernis. Schließlich schleicht sich sogar ein wenig weibliche Eifersucht ein. „Ihre schrille, sich leicht überschlagende Stimme mit ihren seltsam gutturalen Untertönen drang einem bis ins Mark. Sie sprach mit derselben Überzeugung, wie nur Mystikerinnen und Hysterikerinnen sie besitzen.“ Die beiden Frauen können sich auf Anhieb nicht ausstehen. Und doch sind die Gemeinsamkeiten zwischen ihnen kaum zu übersehen: Beide sind Jüdinnen, kommen aus dem Großbürgertum, haben eine aristokratische Erziehung genossen und mit ihrem Milieu gebrochen samt dessen Ausdrucksformen und politischen Werten. Margherita hatte die gemäßigt liberalen politischen Ansichten des venezianischen Kaufmannsstandes, dem sie entstammte, schon vor mehreren Jahren hinter sich gelassen. Es zog sie vielmehr hin zu den radikalen und großen Ideen der Sozialisten,
Weitere Kostenlose Bücher