DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
einfaches weißes Kleid, ihr großer Florentiner Strohhut verleihen ihr das Aussehen eines unschuldigen Engels.
Er lässt sich sein Interesse nicht anmerken und wiederholt, während er ihr in die Augen sieht: „Clara Petacci, hmmm?“ – „Duce, ich habe Euch vor Kurzem Gedichte geschickt“, fügt sie, nun selbstsicherer geworden, hinzu. „Gedichte, hmmm? Ich glaube, ich erinnere mich daran. Es lag viel Seele in Ihren Versen, viel Gefühl.“ [21] Er lügt, bevor er sich schnell verabschiedet. Er muss zurück, man erwartet ihn in Rom. „Duce, es war eine Freude, Euch zu sehen …“ Sie tritt zurück, dabei verfängt sich ihr Kleid in einem Busch. Er hilft ihr, sich loszumachen. Die Anziehung zwischen den beiden ist beinahe mit Händen zu greifen. Sie ist zwanzig Jahre alt, er neunundvierzig, aber allein ihr Blick macht ihn um Jahre jünger. Dieses Mädchen ist etwas ganz Besonderes.
Beim Abendessen kennt Clara kein anderes Gesprächsthema mehr: „Was für ein Mann! Diese Augen! Eine Chance wie diese bietet sich nur selten im Leben …“ Sie schläft schon seit einigen Jahren mit dem Foto Mussolinis unter dem Kopfkissen.
Am nächsten Tag, während Clara für ihren „Duce“ ein Aquarell vom Meer malt, schwärmen die Archivare im Palazzo Venezia aus. Gedichte? Weit gefehlt. Man findet einen Packen leidenschaftlicher Liebesbriefe. Auf einem der Briefe, den Mussolini zufällig gelesen hat, steht in seiner Handschrift: „Wer ist die Verrückte?“ Doch die Anziehungskraft an jenem Tag im April war stärker als alles andere. Schon zwei Tage später ruft Mussolini im Hause Petacci an.
„Ist das junge Fräulein anwesend?“
„Welches junge Fräulein?“, fragt die neunjährige Myriam.
„Fräulein Clara.“
„Wer will das wissen?“
„Sagen Sie ihr nur, der Herr aus Ostia wäre am Apparat.“
Als Clara den Hörer ergreift, flüstert er nur hinein: „Palazzo Venezia, um 19 Uhr.“ Eine Einladung, die sich wie ein Befehl anhört.
Am 28. Februar 1912, dem Tag, als Clara Petacci das Licht der Welt erblickte, saß der revolutionäre Sozialist Benito Mussolini in Forli im Gefängnis. Sie ist Tochter einer angesehenen bürgerlichen Familie, die am Lungotevere von Rom residiert. Der Vater ist Leibarzt von Pius XI. im Vatikan, was einer Familie zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch einen privilegierten Status verlieh. Clara ist hypochondrisch veranlagt. Sie hat Angst vor Krankheiten und Schmerzen, mindestens ebenso viel wie der „Duce“. Sie ist Bulimikerin und ernährt sich fast ausschließlich von Schokolade, die sie dann wieder erbricht, was ihre Mutter beinahe zur Verzweiflung treibt. Als Schülerin ist sie nicht besonders eifrig. Die Musik allerdings liebt sie. Sie spielt Geige und Klavier, was zu ihrem schwärmerischen Wesen passt. Sie spielt am liebsten Chopin und liest am liebsten Leopardi. Schon als kleines Mädchen dekoriert sie die Törtchen, die ihre Mutter bäckt, mit der Aufschrift „ Dux – Duce“.
Wir schreiben den 29. April 1932. Es ist fast schon 19 Uhr. Clara geht klopfenden Herzens auf das Portal des Palazzo Venezia zu. Er wartet in der Sala del Mappamondo auf sie, tausend Fragen auf dem Herzen. Er fragt sie über ihre Vorlieben aus, über Malerei, Literatur und Musik. Der „Duce“ gesteht ihr, dass er Leopardi und Petrarca liebt. Unten sitzt Claras Mama im Auto und beißt sich fast die Nägel wund. Das erste Treffen aber bleibt rein platonisch – wie viele andere, die noch folgen sollten. Einige Monate lang sehen die beiden sich nur, um Vertraulichkeiten auszutauschen. „Spürst du den Frühling? Ich empfinde ihn sehr stark, hier in dieser großen Villa, in der ich trotz allem allein und ohne Freunde bin“, klagt er. Er redet immer wieder vom unbarmherzigen Vergehen der Zeit, von seinem verstorbenen Vater. Er nennt sie „Piccola“ – Kleine – oder „Mädchen“. Und er behandelt sie mit Respekt, was für dieses Raubtier eine neue Erfahrung ist.
Eine Art Liturgie entspinnt sich zwischen den beiden, ein Akt der Verführung, der keineswegs wechselseitig ist: Sie schickt ihm Tag für Tag leidenschaftliche Briefe.
22. Februar 1933: „Ich habe von Euch geträumt. Ein Hauch von Leben und Schönheit hielt Einzug in meine tauben Glieder. Ihr habt im Traum zu mir gesprochen, Eure Stimme war zart wie eine Melodie, Euer Lächeln, das warme Streicheln der Sonne … Verübelt es mir nicht, wenn ich an Euch denke … ich begehre Euch.“
Sie verspricht ihm, jeden Tag von 17 bis 18
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