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DIE FRAUEN DER DIKTATOREN

DIE FRAUEN DER DIKTATOREN

Titel: DIE FRAUEN DER DIKTATOREN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Ducret
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gesamte Zeit in Anspruch. Die sozialistischen Führer in Sankt Petersburg werden auf den jungen Mann aufmerksam. Mochten die Bauern in Samara ihn auch verspottet haben, nun steht er im Zentrum einer Gruppe geheimer Agitatoren, die seine Weltsicht teilen und seinen Impetus. Was Wladimir auch sagt, er kann sich des Beifalls seiner Genossen gewiss sein. Seine rhetorische Präzision, sein geschliffener Stil begeistern einen jeden. Seine Reden finden Beachtung, und bald hat er sich als Agitprop-Redner einen Ruf erworben. Der natürlich auch von der Ochrana nicht unbemerkt bleibt.
    Als er 1895 von seiner Europareise zurückkehrt, wird er von der politischen Polizei des Zarenregimes verhaftet. Im Gefängnis von Sankt Petersburg erwartet er seinen ersten Prozess. Mama Uljanow glaubt, dass ihr Sohn dort verhungern wird. Sie schickt ihm alles, was ihm eventuell nützlich sein könnte: Kleidung, Wäsche, Decken, Wollwesten. Der Gefangene geht förmlich unter in der Flut von Geschenken: „Ich habe eine Unmenge Lebensmittel gehortet“, schreibt er seiner Schwester. „Ich könnte einen Teeladen eröffnen … Brot esse ich nur wenig, ich versuche, mich gesund zu ernähren. Und du hast mir so viel davon gebracht, dass es mich eine ganze Woche lang ernähren würde.“ Und was die Wäsche angeht: „Schick mir bitte nichts mehr, ich weiß nicht mehr, wo ich sie hintun soll.“
    Marija Alexandrowna hat Verstärkung bekommen. Anna, die ältere Schwester Wladimirs, kümmert sich um ihn. Sie hat ihr Haus in Moskau verlassen und lebt seit seiner Verhaftung in Sankt Petersburg, um ihn besser unterstützen zu können. Wladimir nutzt seine Haft dazu, ehrgeizige Bücher zu verfassen, die enorme Recherchearbeit erfordern. Da er als Redner kein Publikum mehr hat, nutzt er das Schreiben als Ventil für den Wunsch, sein Hirtenwort zu verbreiten. Anna bringt ihm ganze Stapel Bücher, die Wladimir verschlingt. Sie ist effizient und diskret und stellt sich ganz ihrem Bruder zur Verfügung. Am Ende opfert sie ihm sogar ihre Ehe. Wladimir aber wird sich dessen nicht einmal bewusst. Anna jedenfalls notiert in ihrem Tagebuch, er habe sie eines Tages ganz unschuldig gefragt: „Aber was tust du hier eigentlich so lange in Peter?“
    Die weibliche Unterstützung, die ihm von Anfang an zuteilwird, scheint ihm so selbstverständlich, dass das Muttersöhnchen sie nicht einmal bemerkt. Denn im Hause Uljanow scheuen die Frauen keine Mühe, den einzigen Mann der Familie zu beglucken. Der Vater war gestorben, kurz darauf der älteste Sohn. Wladimir war damals erst fünfzehn Jahre alt.
    Doch irgendwann muss Anna nach Moskau zurückkehren und Wladimir in seinem Sankt Petersburger Gefängnis allein lassen. Wer soll sich nun um ihn kümmern, wo er noch Monate einzusitzen hat? Denn nur Verwandte oder eine Verlobte haben Zutritt. Doch Wladimir ist noch nicht unter der Haube, obwohl es nicht an Bewunderinnen mangelt. Eine gewisse Nadeschda Konstantinonwa Krupskaja erbietet sich, die Rolle der Verlobten zu übernehmen. Dummerweise ist auch sie schon bei der Geheimpolizei auffällig geworden. Daher fällt die Wahl auf ein weniger kompromittiertes Polit-Groupie: Apollinaria Jakubowa. Anna bittet sie, sich um ihren Bruder zu kümmern. Und Apollinaria wird sich die größte Mühe geben, Wladimirs Haft so angenehm wie möglich zu gestalten.
    Als sechs Monate später die Beweisaufnahme abgeschlossen ist und der Prozess ansteht, zieht Frau Uljanow mit ihren beiden Töchtern in eine Villa in der Nähe von Sankt Petersburg, um ihrem vergötterten Sohn in der Stunde der Not näher zu sein. Vor allem der Ernährung ihres „Wolodja“ schenkt sie besondere Aufmerksamkeit. Sie kocht ihm seine Leibgerichte, natürlich genau so, wie er sie haben will. Doch die gute Frau Uljanowa versucht vergeblich, das Justizministerium gnädig zu stimmen. Sie will das Schicksal ihres Sohnes mildern. Doch das Urteil ist unmissverständlich, eine Berufung unmöglich. Wladimir wird für drei Jahre nach Sibirien verbannt, wo er in der Taiga am Ufer der Lena hausen wird.
    In der Einsamkeit der nördlichen Wälder bildet Wladimir seinen Charakter als künftiger Revolutionsführer. Aus Wladimir wird der „Mann von der Lena“ – immer öfter unterschreibt er Dokumente mit „Lenin“, so sehr beeindruckt ihn seine Umgebung. Die Einsamkeit also – aber keineswegs allein, ohne eine Frau, die sich um ihn kümmert. Freilich ist die Verbannung kein Zuckerlecken, aber es hätte schlimmer kommen können.

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