DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
Gleichschritt!‘“
Lenin muss kommandieren, auch wenn es ums Amüsement geht. Er schwingt das Szepter:
„Und schon fing er an, den Takt zu schlagen. Seine Augen leuchteten, während seine Fußspitze nervös wippte. Er trompetete mit seinem Bariton – wider jede musikalische Harmonie – so laut es ging, bis er alle anderen übertönte.“ [6]
Dies würde die einzige Zeit bleiben, in der das Paar in Ruhe sein Eheglück genießen konnte. Denn schon bald ist die Leidenschaft verflogen. Lenin scheint seine Libido für einige Jahre ganz wegzuschließen und widmet seine ganze Energie der Sache der Revolution. Nadja hat Schwierigkeiten mit ihrer Weiblichkeit. Die Krankheit, die ihren Körper deformiert, hindert sie daran, Lenin Kinder zu schenken.
In einem Brief an Lenins Mutter scheint eine andere, weniger unbeschwerte Wirklichkeit auf: „Er macht sich Sorgen um unsere Sicherheit. Er hat einen Deportierten aus dem Dorf gebeten, bei uns zu übernachten. Und er hat mir beigebracht, wie man einen Revolver benutzt.“ Denn die Erinnerungen der jungen Ehefrau an das sibirische Idyll sind täuschend: Das Exil ist eine Qual, und beide werden von dieser Erfahrung ihr Leben lang gezeichnet sein. Denn mag der Sommer in ihrem „Klein-Italien“ am Ufer der Lena auch bezaubernd sein, der Winter ist es nicht. Das Ehepaar muss alle Ritzen sorgfältig verstopfen, um die Kälte abzuhalten. Die Isolation ist fürchterlich. Lenin hält aus, indem er die deutschen Philosophen – Kant und Hegel – liest und am Sonntag den ein oder anderen juristisch berät.
So vergehen die drei Jahre des Exils für Lenin und die wenigen Monate, in denen Nadja eheliches Glück vergönnt war. Sibirien hat vielleicht ihr Intimleben zerstört, doch diese Erfahrungen haben sie zusammengeschweißt. Von nun an sind sie Komplizen, bis dass der Tod sie scheidet. Seitdem kann er sich von ihr nicht trennen, nicht einmal für einen Tag. Denn sie wird für ihn immer die Frau bleiben, die seinetwegen den Frost durchlitten hat.
Das flüchtige Paar
Im Jahr 1900 wird Lenin freigelassen. Er begibt sich sofort zu seiner Mutter, die mittlerweile in der Gegend um Moskau lebt. Doch in der großen Stadt fühlt er sich überwacht. Er muss neu beginnen. Vielleicht stünde Europa seiner rednerischen Begabung ja aufgeschlossener gegenüber. Am 16. Juli nimmt er den Zug nach Zürich in die neutrale Schweiz, wo er von der großen russischen Gemeinde politischer Exilanten herzlich empfangen wird [7] . Obwohl er drei Jahre abwesend war, will Lenin in den marxistischen Grüppchen, die da und dort verstreut sind, neuerlich für Ordnung sorgen. Dies ist eine unabdingbare Voraussetzung, wenn die Macht übernommen werden soll. Und er hat viel zu tun. Wladimir gibt die politische Zeitschrift Iskra (Der Funke) heraus, über die er auch das Volk in Russland erreicht. Seine Schwester Anna, die mittlerweile in Berlin lebt, lässt die Hefte in Deutschland drucken. Und was macht derweilen Nadja?
Lenin hat sie in Sibirien gelassen, wo sie noch weitere sechs Monate verbringt. In dieser langen Zeit täuscht sie die Ochrana und schickt ihre Briefe an ihn an ein Prager Postfach. Dieses zarte Band ist der einzige Kontakt, den die beiden in jener Zeit haben. Sobald sie ihrerseits abreisen darf, nimmt sie den ersten Zug nach Prag und sucht dort verzweifelt nach ihrem Ehemann. Lenin aber hat nicht nur die Geheimpolizei getäuscht, sondern auch seine Frau. Einsam und verloren fühlt sie sich, bis sie einen Arbeiter zu fassen bekommt, der das Postfach regelmäßig leert. Er sagt ihr, dass Lenin in Zürich lebt. Und Nadja, die die weite Strecke nicht abschreckt, macht sich sofort auf den Weg.
Kaum in Zürich angekommen, widmet sie sich ihrer vordringlichsten Aufgabe. Sie will Lenin seine Gesundheit und Energie wiedergeben: „Mir wurde bewusst, dass Wladimir gesund und reichlich ernährt werden musste. Und so habe ich angefangen, in unserem Zimmer selbst zu kochen.“ Das Zimmerchen lässt jeden Komfort vermissen. Es hat keine Küche und wird stets für eine Woche im Voraus gemietet. Die Pakete, die Mama Uljanow immer noch schickt, bessern die magere Versorgung auf. Dabei muss Nadja noch aufpassen, nur ja keinen Lärm zu machen, denn Lenin sitzt an seinem ersten Buch und er kann nur in absoluter Stille schreiben:
„Wenn er arbeitete, marschierte er schnell im Zimmer auf und ab und betete seine Sätze vor sich hin. Während dieser Zeit öffnete ich kein einziges Mal den Mund. Dann aber gingen
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