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DIE FRAUEN DER DIKTATOREN

DIE FRAUEN DER DIKTATOREN

Titel: DIE FRAUEN DER DIKTATOREN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Ducret
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wir spazieren, und er erzählte mir bis ins Kleinste, was er geschrieben hatte. Das war für ihn genauso wichtig wie das laute Durchdenken seiner Sätze, bevor er sie niederlegte.“
    Die unentbehrliche Nadja hat Anteil an Wolodjas Gedanken, durch ihre Gegenwart hilft sie ihm bei der Vollendung seiner Schriften. Lenin hat jemanden gefunden, der ihm in seinem großen Werk zur Seite steht, jemanden, auf den er einen Teil dieser Aufgabe abwälzen kann. Und so ernennt er sie zur Redaktionssekretärin der Iskra . Nadja aber lädt andere Marxisten aus der Stadt zu sich ein. Sie organisiert die politische Boheme, deren Mittelpunkt sie beide sind:
    „Wir aßen um 12 Uhr. Gegen 13 Uhr traf Martow ein, dann die anderen. Das Redaktionskomitee war offen. Martow redete die ganze Zeit von allem und jeden. Wladimir Iljitsch strengten diese täglichen Gespräche, die manchmal fünf bis sechs Stunden dauerten, enorm an. Sie hielten ihn von seiner Arbeit ab. Eines Tages sagte er zu mir, ich solle Martow doch bitten, nicht mehr zu kommen. Wir beschlossen, dass ich künftig zu Martow gehen würde, um ihm die Briefe vorzulesen, die wir erhalten hatten, und mich über die Neuigkeiten zu informieren, die er seinerseits hatte.“
    Nadja allerdings weiß den anstrengenden Mann einzubeziehen. Sie weist ihm eine unerwartete Rolle zu: Er soll ihr als Küchenhilfe assistieren. Sie, die Marxisten ebenso ans Kochen heranführte wie Arbeiterinnen ans Lesen, bekam nun eine anspruchsvollere Aufgabe überantwortet: Sie sollte eine Zeitschrift für die russische Frau ins Leben rufen. Das Monatsblatt trug den nüchternen Titel: Rabotnitsa (Arbeiterin) [8] . Nadja ist allein für die Abfassung der Artikel verantwortlich. Lenin lässt sich erst nach der fünften Ausgabe herab, selbst etwas zu schreiben. Er hat keine Zeit für die Aktivistinnen der Stricknadel, die sich da in soziale Angelegenheiten mischen. Nadja aber glaubt an die Zeitschrift. Ihr Ziel ist es, die Frauen zu einem neuen Leben zu erziehen. Und so bringt ihr Blatt nicht nur Artikel über den Marxismus, sondern ebenso praktische Ratschläge für die Frau: Wie man seine Wohnung schön einrichtet, seine Kinder gut erzieht, sein Haar frisiert und sich schminkt. Frauen in einfacher, aber trotzdem schicker Kleidung zeigen, wie man die Wohltaten der jüngsten Errungenschaften der Kosmetik gewinnbringend einsetzt. Nadja geht ganz in ihrer Aufgabe auf und schreibt so ein Handbuch für die kommunistische Frau. Die Zeitschrift wird ein voller Erfolg. Fortan hat das Ehepaar Uljanow etwas zu sagen in der Welt der Frauen. Der Erfolg der Zeitschrift übertraf die Erwartungen der Redakteurin durchaus. Sie überlebte sämtliche Epochen russischer Machthaber, ja sogar den Sturz des Kommunismus. Heute ist die Zeitschrift die Elle der russischen Welt.
    Bald ist Zürich für Wladimir nicht mehr genug. Das Paar zieht um in die Genfer Gegend. Dort mieten sie ein kleines Häuschen, das dem Führer der Revolution besser zusagt als das bescheidene Zimmerchen in Zürich. Eine große Küche im Erdgeschoss, drei Zimmer im ersten Stock. Doch nach den Jahren des Exils und des Umherziehens haben die Uljanows keine Möbel. Aber Nadja verfügt über eine enorme praktische Begabung und so funktioniert sie die Kisten, in denen Lenins Bücher liegen, zu Tischen und Stühlen um – zumindest für Küche und Esszimmer. Was die Uljanows im Übrigen nicht daran hindert, viele Menschen einzuladen. Das Haus ist fast ständig voll. Wenn sie einen Augenblick der Intimität mit ihrem Mann genießen will, bleibt Nadja nichts anderes übrig, als ihn draußen auf dem kleinen Platz vor dem Haus zu treffen.
    Manchmal allerdings sinkt dem Paar unversehens der Mut. Einmal kehrt Wladimir von einem Aufenthalt auf Capri zurück. Als er am Bahnhof von Genf aus dem Zug steigt, peitscht ihm ein eisiger Wind entgegen. Zuhause angekommen, sagt er zu seiner Frau nur düster: „Ich habe das Gefühl, in ein Grab gestiegen zu sein.“ Das mochte daran liegen, dass das Paar in Genf unter enormem Druck stand und weit über seine Verhältnisse lebte. Während Lenin seine Vorträge hält und seine „verdammte Philosophie“ studiert, langweilt Nadja sich zu Tode. Sie müssen ihr hübsches Häuschen aufgeben und auf die Schnelle umziehen. Nun leben sie wieder in einem kleinen Zimmer. Um sich die Zeit zu vertreiben, lernt Nadja jeden Nachmittag Französisch, bevor sie ihren Mann zu einem seiner anstrengenden Abende begleitet: „Am Abend wussten wir nicht,

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